Das Weltbild des alttestamentlichen Menschen

 
  Das Weltbild des alttestamentlichen Menschen
Referent: Dr. Martin Gerlach am 20.9.2001
 
     
  Der Glaube an ein jenseitiges Leben nach dem Tode ist dem Alten Testament völlig unbekannt. Man weiß nichts davon, dass die Toten auferstehen und durch das Dunkel des Todes in das Licht des ewigen Lebens eingehen sollen. Alle die Texte, auf die man sich zur Stützung der gegenteiligen Ansicht beruft, besagen nichts dergleichen. Erst in der spätesten Schicht des Alten Testamentes bei Daniel findet sich Auferstehungsglaube angesichts apokalyptischer Erwartungen. Doch noch zur Zeit Jesu waren diese Erwartungen nicht unangefochten. Die Sadduzäer lehnten die Lehre von der Auferstehung ab, weil sie eben nicht im Alten Testament enthalten sei.  
     
  Die Toten gehen in die Scheol, in das Unland oder Nichtland. Hier spielt sich in Schweigen, Stille und Kraftlosigkeit etwas dem früheren Dasein Ähnliches ab, aber ohne wirkendes und lautes Leben.  
     
  Der Tote weiß nichts mehr von den Ereignissen in der Welt der Lebenden. Auch die Gemeinschaft mit Gott hat ein Ende. Das Ich des Menschen ist eben unauflöslich mit dem Diesseits verknüpft. Zudem ist Gott ein Gott der Lebenden und nicht der Toten.  
     
  Von dieser Grundlage sieht der alttestamentliche Mensch die Welt und das Leben. Er kennt keine Weltseligkeit, keine Weltsüchtigkeit, aber auch keine Weltverachtung und Weltflucht. Das Leben wird realistisch als hart und grausam empfunden.  
     
  Was macht nun dieses Leben lebenswert? Zunächst ist es die Zusicherung Gottes, dass es Saat und Ernte, Sommer und Winter beständig weiter geben wird. Das Firmament verkündet das Werk der Hände Gottes. Der Mensch hat fast die Würde Gottes. Er ist auf dieser Welt nicht einsam: es gibt erfüllte Liebe. Es gibt für dieses Leben das Gesetz Gottes, das dieses Leben lebbar gestaltet. Es gibt die Freude und das Genießen. So wird dieses Leben als eine große Herausforderung gesehen. Man kann sich nicht in Inner-lichkeit und Erbaulichkeit flüchten. Es geht vielmehr um nichts Geringeres als darum, dass Gott in dieser Welt und in diesem Leben seine Herrschaft ausüben will. Da ist es dem alttestamentlichen Menschen nicht gestattet, sich auf das rein religiöse Gebet zurückzuziehen, um Gottes Herrschaft auf Tempel, Priestertum und Gottesdienst zu beschränken. Er soll vielmehr seine ganze Kraft gebrauchen, damit der göttliche Anspruch in seinem eigenen Leben und seinem ganzen Lebensbereich anerkannt und erfüllt wird.  
     
> zurück zu Referate < Über allem aber steht die Gewissheit des alttestamentlichen Menschen, dass Gott sein Kommen und sein Gehen behütet. Er wird seinen Fuß nicht gleiten lassen. So lässt sich leben im Bewusstsein, dass es nur diese eine Welt gibt.  
     
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