Der Islam in unserer gegenwärtigen Auseinandersetzung

 
 
 

28. November 2001, Dr. Martin Gerlach, 
Fortbildung Telefonseelsorge Düsseldorf

 
 
Herr Dr. Gerlach nimmt mit auf einen kurzen Weg durch die Geschichte des Islam:
 
Das weströmische Reich verlor an Bedeutung durch die Einfälle der germanischen Völkerschaften. Romulus Augustulus, der letzte weströmische Kaiser, wurde 476 entlassen. Der letzte Rest der Römerherrschaft im Abendlande wurde durch den Sieg des Frankenkönigs Clodovechs 486 bei Sassons zerstört.
 
Der Ostteil des römischen Reiches, Byzanz, wurde vorherrschend. Er mußte sich verteidigen im Osten gegen den Erzfeind Persien, im Westen gegen die auf den Balkan drängenden Steppenvölker. In Südarabien war das überkommene politische System kulturell bedeutsamer Kleinstaaten im 6. Jahrhundert zusammen gebrochen. Mekka war ein wichtiger Umschlagplatz an der Handelsstraße, die in Gaza das Mittelmeer erreichte. So lebte die Wüstenstadt vom Handel. Sicherheit gewährte die Kaaba, das zentrale Heiligtum des heidnischen Arabien. In dem Bereich gab es christliche Gemeinden und Anachoreten. Zudem gab es geschlossene jüdische Gemeinden.
 
Mohammed wurde 570 n. Chr. in Mekka geboren. Sein Vater starb vor seiner Geburt. Als Jüngling trat er in den Dienst der reichen Witwe Khadija, die er später heiratete. Aus dieser Ehe stammt die Tochter Fatima. Auf einer Reise nach Bosra, südlich von Damaskus, begegnete er dem Mönch Bahira. Diese Begegnung und innere Erfahrungen verdichteten sich zu einem Berufungserlebnis. Er verstand sich als Prophet und Offenbarungsempfänger in der Nachfolge alttestamentlicher und neutestamentlicher Gestalten. Er war zunächst nicht so sehr an der Schaffung einer neuen Religion interessiert als vielmehr an der Schaffung eines Buches, das dem Alten Testament und Neuen Testament entsprechen sollte. Dieses sollte den Arabern in ihrer Sprache die Offenbarung bringen. Damit geriet er in Konflikt mit konservativen Kreisen in Mekka. 622 musste er flüchten und ließ sich in Medina nieder. Mit dieser Flucht beginnt die neue Zeitrechnung. In Medina konnte er ein Gemeinwesen nach seinen Vorstellungen errichten. Mit der Judenschaft des Ortes kam es zu Konflikten. Diese wurden bald vertrieben. Mekka konnte zurückerobert werden. Mit der Berufung auf Abraham greift Mohammed auf eine Autorität zurück, die zeitlich vor Mose steht. So unterläuft er die Argumente der Juden, für die Mose der Gesetzgeber ist.
 
Für das neue Gemeinwesen gilt: Einen Dualismus von Staat und Kirche gibt es im Islam nicht. Staat und Kirche, um es in unserer Begrifflichkeit auszudrücken, verschmelzen zu einer unauflöslichen Einheit.
 
Der Koran bestimmt u.a. die 5 Säulen der Frömmigkeit: Glaubensbekenntnis, das Pflichtgebet fünfmal am Tag. Fasten im Ramadan, Armensteuer, Pilgerfahrt nach Mekka einmal im Leben.
 
Die Nachfolge Mohammeds traten Ali und Abu Bakr an. Letzerer war erfolgreicher. Als Institution wurde das Kalifat gegründet. Militante Eroberungen gingen nach Persien, Ägypten, dem Irak, Nordafrika bis nach Spanien. Hier erlebt der Islam seine große Blüte. Arabische Philosophen brachten die Schriften des Aristoteles in arabischer Sprache, zudem ihre Kommentare. Christentum und Judentum standen vor der Auseinandersetzung mit Aristoteles.
 
Die Theologie des Islam
 
Im Islam gibt es 80% Sunniten, 20% Schiiten. Die Spaltung in diese Gruppen besteht seit dem 9. Jahrhundert. Die Sunniten (Sunna = Herkommen, Brauch, Stille) richten sich nach den Vorschriften Mohammeds, der Koran ist für sie Gesetzesvorlage. Der Islam war nie eine Religion des Individuums, nie eine private Angelegenheit mit Gott, der Glaube war immer auch eine Staatsangelegenheit. Der Mensch hat eine Verantwortung, die im Jenseits beurteilt wird. Im Islam gibt es den Tun-Ergehens-Zusammenhang, der im Alten Testament umstritten ist, jedoch im Islam eindeutig festgelegt ist. Ansonsten ist der Mensch im Islam frei, den Gesetzen des Koran zu folgen. Die Trennung zwischen Sunniten und Schiiten entstand über den Streit über die Nachfolge des Propheten.
 
Formen des Islam heute
 
1. Die Korangebundenheit war fundamentalistisch, immer auch mit militanter Potenz. 
2. Im 12. und 13. Jahrhundert gab es eine wichtige Person: Averroes aus Südspanien, der Aristoteles kommentierte und so Thomas von Aquin beeinflusste: Zu der Zeit gab es große Übersetzer in Toledo, Palermo und Neapel. Es gab viele philosophische Diskussionen zwischen muslimischen und westlichen Philosophen, große Philosophieschulen entstanden, es war ein reger Austausch in diesen Disziplinen. Man achtete und befruchtete sich gegenseitig.
3. Die Mystik des Islam, die Annemarie Schimmel so gut beschrieben hat. Der bekannteste Dichter der islamischen Mystik ist Rumi. Wichtig ist auch der Pakistani Muhammed Iqubal. Herr Dr. Gerlach liest aus Annemarie Schimmels Werk ein Gedicht mit dem Titel: „Nimm eine Rose und nenne sie Lieder“.
 
Zu dem Konflikt vom 11. September 2001 erklärt Herr Dr. Gerlach auch das amerikanische Verhalten. Als Buchlektüre wird empfohlen: Johannes Fried „Aufstieg aus dem Untergang“. Die Wurzeln des amerikanischen Volkes sind noch stark verankert mit der Zeit der Pilgrim Fathers von 1620, die nach Amerika einwanderten. Damals hat es in Europa durch die schlechten Zeiten eine mittelalterliche Endzeiterwartung gegeben. Es herrschte eine apokalyptische Stimmung.
 
Nach dem 2. Thessalonicher Brief muss es Kräfte geben, die den Untergang aufhalten, so haben sich die ersten Einwanderer nach Amerika gefühlt. Sie wollten dort eine neue Welt errichten. Große Kaiser haben in der Geschichte auch ihre kriegerischen Maßnahmen oft so begründet: Wir sind die, die das Unheil aufhalten. So muß man Amerika auch heute noch verstehen in dem politischen Handeln und in der Auseinandersetzung mit dem Terror in der Welt.
 
Um die Rolle der Frau zu bestimmen, wurde Richard Hartmann aus seinem Buch „Die Religion des Islam“ zitiert. In der Ehe ist die Frau zwar vermögensrechtlich durchaus selbständig, persönlich aber dem Manne völlig untergeordnet.
 
Die Schlussüberlegungen knüpften an das Buch von Johannes Fried „Aufstieg aus dem Untergang“ an, um die gegenwärtige Position von westlicher Welt und Islam zu bestimmen: 
Der Islam war im 13. Jahrhundert dem Westen geistig überlegen, danach erstarrte er im Fundamentalismus. Im Westen entstanden aus der Apokalyptik des Mittelalters naturwissenschaftliche Studien und Forschungen, aber die Angst vor dem Untergang, wie es schon in der Apokalypse war, blieb und ist heute bestimmend angesichts politischer Ereignisse. Das Leben heute scheint sich in eine apokalyptische Gefahr zu verwandeln. Bei einem Dialog müssten diese Situationen artikuliert werden.
 
Literatur:
Annemarie Schimmel, Der Islam. Eine Einführung, Reclam-Verlag
Richard Hartmann, Die Religiondes Islam, Eine Einführung, Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Johannes Fried, „Aufstieg aus dem Untergang“
Der Koran, in der Übersetzung von Friedrich Rückert, Ergon Verlag
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Referat zusammengefasst von Helga Urban
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