Überlegungen zur Schöpfungsgeschichte der Bibel

 
   

Vortrag vom 5. Mai 2004

Die Schöpfungsgeschichte ist ein Teil der sogenannten Urgeschichte. Darunter verstehen wir die Kapitel 1-11 der Genesis. Diese Kapitel haben jeweils Überschriften, die eine kausale Abfolge suggerieren wollen: Da  ist die Schöpfung als sehr gut. Da kommt bald der Sündenfall, der dieses sehr Gute verdirbt. Als Ergebnis des Sündenfalles erschlägt der Kain den Abel. Die Folge von diesem Geschehen ist die Sintflut. Und das falsche Verhalten der Menschen geht weiter im Turmbau zu Babel. Bei dieser Konstruktion der Geschichte kommt am Ende die Überzeugung auf, es muss eine Erlösung stattfinden, um dieses ursächliche Geschehen zu beenden. Die Überschriften haben also zur Interpretation der Geschichte geführt. Man muss sich allerdings vergegenwärtigen, dass diese Überschriften aus dem 13. Jahrhundert von dem englischen Kardinal Stephen Langton stammen. Diese Überschriften treffen nicht immer das, was in den Geschichten erzählt wird. Sie können das vergleichsweise an der Geschichte vom verloren Sohn im Neuen Testament sagen. Lange, seit dem großen Gleichniskommentar von Adolf Jülicher wissen wir, dass bei solchen Geschichten die Betonung und die Notwendigkeit der Erklärung im zweiten Teil liegt. Das theologische Problem ist nicht der Sohn, der sein Erbe durchbringt, das theologische Problem ist der zu Hause Gebliebene, der nichts riskiert, der sein Leben nicht nach der vorgegebenen Gnade Gottes gestaltet hat. So tun wir gut daran, die Geschichte nicht mehr nach den Überschriften von Stephen Langton zu interpretieren.

Wie interpretieren wir heute die Urgeschichte?

Wir reden in der Urgeschichte von einem Grundgeschehen. Grundgeschehen ist auch sonst im biblischen Denken zu finden. Es sind Grundstrukturen des menschlichen Lebens: Jeden Morgen geht die Sonne auf, und am Abend geht sie unter; der Rhythmus von Saat und Ernte, Sommer und Winter bleibt, auch wenn kein Sommer genau wie der andere ist; Katastrophen brechen über die Welt herein und vernichten sie doch nicht; Menschen werden geboren und sterben; sie leben als Mann und Frau, als Vater, Mutter, Schwester, Bruder, in Familien, bei allem Wandel der Familienformen; sie bedürfen der Nahrung und der Gemeinschaft, sie verfehlen sich und drängen über die Grenzen des Menschen hinaus, in dem allen bleiben sie sich gleich, in allen Wechselfällen der Geschichte. So etwa wird man Grundgeschehen allgemein definieren müssen und können. Es geht jetzt im nächsten Abschnitt darum, wie konkret und theologisch das Grundgeschehen in der Urgeschichte verstanden wird.


Da ist zunächst die Forderung, dass wir die Schöpfungsgeschichte nicht isoliert von der Flutgeschichte betrachten dürfen. Ja mehr, die Fluter-zählungen sind die eigentliche Mitte des Grundgeschehens. Das ergibt eine Auslegungsregel: Die Schöpfungstexte 1. Mose 1+2 sind von 1. Mose 6-9 her auszulegen. Damit ist auch klar, dass das Reden von Schöpfer und Schöpfung in der Bibel nicht eine Auskunft oder die Herkunft von Welt und Menschen ist. Gott hier nicht als prima causa erfasst, sondern als das Gegenüber zur Schöpfung, das schafft, leidet, vernichtet und dann doch bewahrt. Warum spricht das Grundgeschehen überhaupt vom Anfang der Schöpfung? Das wird wieder erst verständlich, wenn wir sehen, dass das Grundgeschehen auch vom Ende spricht, eben von den Fluterzählungen. Vom Anfang und Ende zu reden, das ist in der Denkweise der biblischen Menschen: vom Ganzen universal reden. Die Tiefe der Zeit ist ihnen wichtiger als die Tiefe des Raumes, der unser geometrisches Weltbild beherrscht. Zwischen Anfang und Ende ist die Zeit der Bewahrung, „solange die Erde steht“. In dieser Zeit ereignet sich auch die Rettung der Menschen und der Welt, wie schon zuvor geschehen in der Rettung aus der Flut, in der Rettung aus Ägypten. Das zeigt sich auch daran, dass aus dem Abschluss des Grundgeschehens durch die Rettung ein Ziel gehört, „also hat Gott die Welt geliebt“. Wir müssen also als Grundgeschehen in der Verbindung von Flut und Schöpfung formulieren: Es gibt Anfang und Ende, und es gibt zwischen Anfang und Ende Bewahrung.


Das zweite Grundgeschehen finden wir unter der Struktur und den Elementen von Schuld und Strafe. Es ist deutlich, wie dieses zweite Element mit dem ersten zusammen hängt: Es begründet den Beschluss Gottes zur großen Flut, es stellt das Aus-dem-Geleise-Laufen der guten Schöpfung Gottes dar. Dieses Element ist vom Erzähler eingebracht worden, er betont am Anfang seiner Fluterzählung auch die Bosheit der Menschen. „Alles Dichten und Trachten des Herzens ist böse“.


Das Grundgeschehen liefert keine Theorie über die Herkunft des Bösen; es stellt nur fest, es ist so, es war ursprünglich nicht so gemeint, aber ist so, und die Frage nach dem Grund zu stellen, ist unnötig.


Die Abfolge der Schuld/Strafe-Erzählungen ist so angelegt, dass die Wirkung des Bösen in allen grundlegenden sozialen Einheiten gezeigt wird:

1.Mose 3: Schuld und Strafe des Menschenpaares; 1. Mose 4: Schuld und Strafe zwischen Bruder und Bruder; 1. Mose 6, 1-4: Schuld und Strafe aller Menschen; 1. Mose 9, 18-27: Schuld und Strafe zwischen Eltern und Kindern; 1. Mose 11, 1-9: Schuld und Strafe bei den Völkern.


In dieser Liste zeigt sich, dass der Sündenfall sich nicht in 1. Mose 3 ereignet und alles Weitere nur dessen Folgen sind. Die Sünde des ersten Menschenpaares ist der Sünde in anderen Gemeinschaftsverhältnissen völlig gleichgestellt. Es stellt bis heute eine schwere Belastung der christlichen Theologie dar, dass 1. Mose 3, womöglich noch sexuell verengt, das Grundmodell der Sünde ist und die sozialen Sünden von Kapitel 4-11 wenig Beachtung finden. Wir finden als zweites Grundgeschehen Schuld und Strafe. Diese Schuld/Strafe Geschichten begründen aber nicht nur den Entschluss Gottes zur Flut. Sie sind mit der Fluterzählung auch darin verbunden, dass in ihnen jeweils ein Element der Bewahrung vorkommt: Die Strafe wird jedes Mal abgemildert: Auf dem Vergehen Adams und Eva steht die Todesstrafe, sie werden aber nur aus dem Garten gewiesen, Gott macht ihnen sogar noch Kleider. Auf  Kains Tat steht die Todesstrafe, er wird von Gott nur zum Nomadendasein verurteilt und von ihm noch geschützt mit dem Kainszeichen; eigentlich sollte die Menschheit die Flut nicht überleben, dennoch wird sie nur durch Gottes Vorsorge gerettet; auch die Hybris des Turmbaues wird nur mit der Zerstreuung in viel verschieden sprachige Völker geahndet.


Das dritte Grundgeschehen aus der Urgeschichte wird vorgefunden in den Stammbäumen und Genealogien; 

1. Mose 5: Die zehn Generationen von Abraham bis Noah.

1. Mose 10: Die Völker als Nachkommen Noahs

1. Mose 11, 10 f: Die zehn Generationen von Noah bis Abraham.


Kontinuität trotz Vertreibung aus dem Garten, trotz Brudermord, trotz Gewalt, trotz Verletzung des Elterngebotes, trotz der Hybris des Turmbaues, trotz der Flut. Der Segensauftrag der Schöpfung: Seid fruchtbar und mehret Euch und füllt die Erde, erfüllt sich in den Stammbäumen.


Wir müssen jetzt auf die Schöpfungsgeschichte selbst zurück gehen. Ich habe als Anlage abgebildet die Reihenfolge der Schöpfung. Was an dieser Reihenfolge stört, ist vor allem die Stellung der Gestirne: Sonne, Mond und Sterne. Es wäre doch sinnvoller, wenn sie unmittelbar nach der Erschaffung des Firmaments, der festen Himmelsschale, zu stehen kämen. Da hätten wir eine Abfolge, die wir auch nach Gesichtspunkten der Astronomie, der Physik, der Evolutionsforschung, der Anthropologie vernünftig finden müssten. Nach vielen Erklärungsversuchen ist hier eine plausible Lösung gefunden worden, indem das Gesamtprinzip der Anordnung erkannt wird. Der Erzähler teilt nach Lebensbereichen, Lebensräumen und dazugehörigen Lebewesen ein. Das ergibt der untere Text der Abbildung. An dieser Zuordnung sind zwei Beobachtungen zu machen. Die erste Beobachtung gilt den Pflanzen. Sie werden nur als Kleid der Erde aufgefasst. Wir sehen die Pflanzen natürlich als Lebewesen an; die Hebräer nicht, weil die Pflanzen kein Blut haben, und im Blut liegt ja das Leben oder die Seele eines irdischen Lebewesens. Weiter ist einleuchtend, dass nicht die nackte Erde, sondern eine mit Grün bekleidete Erde wirklich ein Lebensraum für Tiere und Menschen sein kann.


Eine zweite Frage ist: Wieso führen die Gestirne die Reihen der Lebewesen an? Sind Sonne, Mond und Sterne Lebewesen? In der altorientalischen Anschauung: ja. In Israel sind zwar Sonne und Mond keine Götter mehr wie in Babylon, Ägypten und Kanaan. Gerhard von Rad hat den Ausdruck Lampen gebraucht. Die Gestirne sind nach alttestamentlichem Denken gleichsam entmythologisiert. Sie sind nur Beleuchtungskörper.


Die Zuordnung von Lebewesen und Lebensräumen macht bei den Menschen und der Erde auf ein  Problem aufmerksam. Auf der Erde sind zwei Arten von Lebewesen angekommen. Das heisst: Auf der Erde ist die erste Chance zu Konflikten gegeben. Die Urgeschichte oder die Schöpfungsgeschichte weist uns hin, welche Rolle die Menschen bei diesem Gefahrenmoment spielen. Man kann das finden in Genesis 1, 29-30. Hier vermeidet die von Gott getroffene Nahrungsanweisung den Ausbruch des Konfliktes. Sie sieht vor, dass die Landtiere Gras und Kräuter essen, d.h. Pflanzen, die von selbst wachsen, die nicht angebaut werden müssen. Dass Menschen dagegen Getreide und Baumfrüchte essen, d.h. Pflanzen, die des Ackerbaues bedürfen. Mit dieser Nahrungszuweisung, die nichts vom Schlachten oder Jagen der Tiere durch den Menschen besagt, sind die Möglichkeiten des Konflikts im gemeinsamen Lebensraum ausgeräumt. Wir können daraus folgern: Nach biblischem Verständnis ist das berühmte dominium terrae, also die Folge der Vorstellung: „Machet Euch die Erde untertan“ zu verstehen als Konfliktregulierung. Dieses war natürlich zu der Zeit des alttestamtlichen Menschen einfacher, ist aber für uns als Aufgabe gegeben und gestellt


Diese Interpretation der Schöpfungsgeschichte entspricht dem gegen-wärtigen Stand der Forschung.


Martin Gerlach

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