Predigt in Bensberg 2004

 
   

Predigt während der Tagung in Bensberg 2004

(20. - 22.02.2004)

Text: Psalm 63,2-5

Weil wir uns über Psalmen während der Tagung unterhalten haben, kann ich einige theologische Bemerkungen voraus setzen.


Für viele Theologen ist der Psalm unverständlich. Man versucht durch Versumstellungen einen geschlossenen Gedankengang zu entdecken. Das ist aber nicht überzeugend gelungen. Unklar ist, ob der Text im Tempelkult seinen Platz hatte oder nicht. Literarische Gattungen sind nicht eindeutig erkennbar.


Für den Dichter dieses Psalms ist Gott ein ersehntes Gut. Er ist im dürren Land. Darunter kann man auch verstehen, dass er in Not ist. Wir sind heute Gottsucher wie der Psalmist. Wir sind in der gleichen Suchbewegung: Welcher Gott bringt Glück? Kann es für den Beter und für uns der allmächtige Gott sein? Kaum. Am Fels des Leidens zerbricht der allmächtige Gott. Er bringt keinen Trost. Es entsteht vielmehr die Frage nach dem Warum, nach der Theodizeefrage. Sie bleibt unbeantwortbar, und wir müssen mit dieser offenen Wunde leben. Verdächtig bleibt auch, dass Diktatoren gern zum Allmächtigen gehen. Allmacht ist immer abschreckend. Gilt nun der Ruf: Gott ist tot!? Für den Dichter des 14. Psalms ist ein solcher Rufer in Tor. Jens Peter Jacobsen hat in seinem Buch „Nils Lyne“ eindrücklich das Schicksal des atheistischen Menschen geschildert. Der atheistische Lebensentwurf Jacobsens scheint mir aber gescheitert zu sein.


Bonhoeffer hat sich gegen Theismus gewehrt, also gegen die Vorstellung, dass Gott alles regiert. Er tat dies um der Mündigkeit des Menschen willen. Gott muss sich zurückziehen, um dem Menschen Raum zu geben. Dies ist für mich immer einleuchtend und hilfreich gewesen. So ist wohl die Gottesidee des Theismus tot. Für viele unter uns ist das sicher problematisch. In diesem Gedanken sind wir erzogen worden.

Ob der Psalmist mit dem Gott glücklich geworden wäre, der seinen Sohn für die Menschen opferte? Ich möchte doch für mich bekennen, dass es nie so schlecht um mich bestellt war, dass jemand für mich sterben muss. Vor allem stellt sich Jesus niemals als den dar, der durch den Tod dieser göttlichen Initiative entspräche oder durch seinen Tod diese menschliche Schuld begliche. In den Gleichnissen vom verirrten Schaf, von der verlorenen Drachme, vom verlorenen Sohn, vom Festmahl, zu dem die Kranken und Bettler mit Gewalt hereingedrängt werden, wird das genaue Gegenteil dargestellt. Das Reich Gottes ist da, auch für die Kranken, auch für die, die im verkehrten Glauben leben und für die, die auf Abwege geraten sind.

Ist Gott leidensunfähig, indem er seinen Sohn opfert, so ist er nicht leidensfähig, dann aber auch nicht liebesfähig. Origenes sagt in seinem Kommentar zum Römerbrief: „In seiner Barmherzigkeit leidet Gott mit, er ist nämlich nicht herzlos“. Ernst Troeltsch sagt das noch besser: „Der Gedanke der göttlichen Liebe vollendet sich erst, wenn wir uns nicht der Illusion hingeben, Gott leide nicht. Es ist vielmehr ein wesentlicher Punkt in der heiligen Liebe, dass Gott sich selbst dem Leid unterzieht.“

So ist wohl der Gott hilfreich und ersehnt, den Jaques Pohier so deutet: Gott ist der, der an die Seite dessen tritt, der leidet. Dass er mit dem ist, der leidet. Wie ein Freund. Und der nichts verdrängt, den nichts fliehen lässt, weil er etwa Angst hätte. Denn Leiden macht immer Angst. Es macht furchtsam und aggressiv: es gibt Lust zum Töten oder sich zu töten, zu retten oder sich zu retten. Da sein, da bleiben, mit einem sein, und zwar so, dass der Leidende sich nicht zu verbergen, sich nicht einschliessen muss oder Angst zu haben braucht vor sich selbst oder vor dem, was er in den Augen des Zeugen seiner Leiden liest. So bei ihm zu sein, dass er sieht, man kommt nicht, um etwas von ihm zu fordern, um ihm zu erklären, was er tun solle, um von ihm Rechenschaft zu verlangen oder ihm Lehren zu erteilen. Sondern einfach, um mit ihm zu sein. Um das zu sein, was man ist, damit er der sei, der er ist.

Der in dem Jesus sich zeigende mitleidende Gott, der solidarische Gott, ist hilfreich.

Im dürren, trockenen Land, wo kein Wasser ist, ist er bei mir als ein Freund. Jetzt kann der Beter im Psalm von Gott sagen: „Deine Güte ist besser als Leben. Meine Lippen preisen dich.“ In dieses Preisen sollten wir mit dem Psalmisten einstimmen.

 

Amen

Dr. Martin Gerlach

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