Predigt in Bensberg 2006

 
   

Predigt während der Tagung in Bensberg 2006

(24. - 26.02.2006)

Der Predigttext ist: Römer 11, 13-18

Mein Anknüpfungspunkt zu diesem Text ist die Reflexion des Weges von Edith Stein:


Sie war Jüdin im traditionellen Sinne, sie verlor ihren Bezug zum Judentum, sie wurde Christin, ja, sogar Nonne, sie starb als Jüdin, nicht als Christin.


Dies erinnert mich sehr an den Weg, den Paulus gegangen ist. Er war Jude, er war Schriftgelehrter. Wenn er in eine Gemeinde kam, besuchte er zunächst die Synagoge, so berichtet die Apostel-geschichte. Er war sehr in seinem Judentum vertraut. Er schloss sich der Jesusbewegung an. Man wird diese Jesusbewegung nicht als Kirche verstehen dürfen, aber es war eine Absonderung vom traditionellen Judentum. Er geht nun einen Punkt weiter als Edith Stein. Er fragt nach dem Heil seiner Glaubensgenossen. Offensichtlich kann man vom Judentum nicht loskommen. Ich würde das gern persönlich einmal formulieren: Wenn jemand das Alte Testament lieb gewonnen hat, lebt vielleicht aus dieser Welt heraus und hat nie die Versuchung verspürt, Jude zu werden, hat das Alte Testament nicht geliebt.


Die Frage des Paulus wird in der kirchlichen Tradition in einer seltsamen Weise beantwortet. Man versteht das Verhältnis von Altem und Neuem Testament als Weissagung und Erfüllung oder als Gesetz und Evangelium. Dies führt mich zu Rückfragen: Jesaja sagt seinem Volk in der Gefangen-schaft: “Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von Euch weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen.“ Ist das nur Weissagung? Welch eine schreckliche Verkennung! Und mir fällt noch ein das Wort desselben Jesaja: Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöst, ich habe dich bei meinem Namen gerufen, du bist mein. Ist dieses Wort Gesetz, ist dieses Wort nicht hervorragendes Evangelium? Wie kann man nur Altes und Neues Testament einteilen nach der Devise von Gesetz und Evangelium. Wir sollten uns von dieser kirchlichen Tradition trennen, wir sollten sie sogar bekämpfen. Die Kirche beginnt selbst, diesen Prozess des Kampfes auf sich zu nehmen.

Lassen Sie uns nach diesen Vorüberlegungen einmal nun  in den Text einsteigen. Die Adressaten des Römerbriefes und dieser Stelle sind Heidenchristen. Wir haben in Rom offensichtlich eine Gemeinde, die aus Judenchristen und Heidenchristen besteht. Paulus wendet sich gegen die Heidenchristen, weil sie sich rühmen gegenüber den Judenchristen. Dies ist nicht sachgemäss. Paulus argumentiert so: Er ist Apostel der Völker geworden und hofft, dass durch sein Wirken die Juden sich gereizt fühlen und durch den Reiz sich rückbesinnen und so gerettet werden. Weil Israel sich weigerte, seinem Gott zu folgen, wurde das Evangelium in die Welt hinaus getragen, eben zu den Heiden, und diese wurden Heidenchristen. Aber die Rückkehr der Juden ist gleichsam identisch mit dem Leben aus dem Tode. Denn sie waren doch Erstlinge und sollen das auch bleiben, sie haben eine Wurzel und leben aus der Kraft, und diese Erstlingschaft  sind die Erzväter. Von ihnen her kommt die Wurzel, aus der sie leben dürfen. Gottes Geschichte mit dem Volk bleibt, was von den Erzvätern begann, geht weiter durch die ganze Geschichte hindurch.

Und die Heidenchristen? Aus der Wurzel sind Zweige ausgehoben worden, so konnten neue Zweige eingesetzt werden. Juden und Christen bleiben, was sie sind. Die Botschaft gilt Heiden und Juden, beide haben die gleiche Position vor Gott, beiden gelten die Verheißungen, für beide bleiben die Verheißungen unumstritten, immer gültig.

Was sind nun die Verheißungen? Es geht um die Botschaft von dem Gott, der Bundespartner seines Volkes wird. Die Formulierung: „Ihr sollt mein Volk sein, und ich will Euer Gott sein“ sind Ausdruck dieser Bundespartnerschaft. Der Partner des Bundes leidet mit dem Volk, er geht mit ihm bis ins Exil. Er wird leidensfähig und damit auch liebesfähig, denn wer nicht mitleiden kann, kann auch nicht lieben. Er muss auch, wie das Volk selbst, in der Gefangenschaft und aus der Gefangenschaft erlöst werden. Das sind die Verheißungen: Ich bin nie ohne Gott, er ist der mitgehende Gott. Er ist nicht dazu da, mich aus dem Leid zu befreien, er ist dazu da, im Leid bei mir zu sein. Diese Gottesvor-stellung, in der die Allmacht Gottes keine Rolle mehr spielt, in der Gott einwohnt in dieser Welt, ist die Botschaft der Verheißung. Klassisch nennt man diese Einwohnung Gottes Schechina. Aber, das muss bedacht werden, dieser mitgehende Gott will nur Glück im Unglück sein. Das Beispiel des Alten Testamentes für diese Situation ist interessant: Es könnte ja sein, dass von den Feinden eine Stadt erobert wird, dann hast du Glück, wenn dir nur eine Hand abgehauen wird und nicht zwei. Glück ist nur Glück im Unglück. Das Glück des mitgehenden Gottes wird in den Katastrophen des Lebens bedeutsam. Die Genesis hat diese Vorstellung der Verheißungen in Formen der Volksfröm-migkeit konserviert und uns übermittelt. Immer wieder wird den Menschen gesagt: „Ich will mit dir sein, ich gehe mit dir.“

Nun werden Sie mich nach Jesus fragen. Das tun Sie zu Recht. Er hat diese Botschaft neu gelebt. Er hat sie uns vermittelt. Der mitgehende Gott. Und vielleicht kann man seinen Tod so deuten, dass er Zeichen ist für die Fähigkeit Gottes, mit zu leiden. Das halte ich für eine glänzende Deutung. Und nicht die Kategorie: Er starb für meine Sünden.

Nun kann man diesen Gedanken noch weiter treiben: Die Konstante im Leben ist die Treue Gottes als mitgehender Gott. Diese Konstante ist das, was Leben und Tod verbindet. In beiden Bereichen ist es der mitgehende Gott. Im Alten Testament wird dies ausgedrückt durch die Treue Gottes, Paulus drückt das noch anders aus, wenn er sagt: Die Liebe höret nimmer auf. Die Konstante zwischen Leben und Tod ist der mitgehende Gott.

Lassen Sie mich diesen Gedanken, der mich bestimmt und bewegt, noch einmal in zwei Zitaten verdeutlichen. Der bekannte Greifswalder Neutestamentler Ernst Lohmeyer schreibt am 19. August 1933 einen Brief an Martin Buber. Ich zitiere einen Abschnitt aus diesem Brief:

„Ich hoffe, dass Sie mit mir darin übereinstimmen werden, dass der christliche Glaube nur solange christlich ist, als er den jüdischen in seinem Herzen trägt. Das soll zunächst nichts weiter sagen, als dass diese Frage von Judentum und Christentum nicht zwischen Part und Widerpart hin- und her geworfen werden kann, sondern dass es eine innere, den eigenen Ernst und die eigene  Wahrheit erschütternde Frage des christlichen Glaubens ist. Ich wüsste für einen christlichen Theologen fast nichts, wo das ‚Tua res agitur’ ihn so gefangen nehmen sollte, wie diese Frage des Judentums. Es ist für mich eine bittere Erfahrung, dass in unserer christlichen wie theologischen Öffentlichkeit man so leicht politischen oder sonst wie gefärbten Schlagworten zuneigt.“

Und das zweite Zitat ist aus dem sehr schönen Paulus-Buch von Hans-Joachim Schoeps, was 1959 erschien. Schoeps schreibt darin: „Der Messianismus Israels zieht auf das Kommende, der Eschatologie der Weltvölkerkirche auf die Wiederkehr des Gekommenen. Beide eint die gemeinsame Erwartung, dass das entscheidende Ereignis noch erst kommen wird als Ziel der Wege Gottes, der in Israel und in der Kirche mit der Menschheit geht. Die Kirche Jesu Christi hat von ihrem Herrn und Heiland kein Bildnis aufbewahrt. Wenn Jesus morgen wiederkehren würde, würde ihn vom Angesicht kein  Christ erkennen können. Aber es könnte wohl sein, dass der, der am Ende der Tage kommt, der die Erwartung der Synagoge wie der Kirche ist, dasselbe Antlitz trägt.“

Diesen beiden Zitaten ist nichts hinzuzufügen.

 

Amen

 

Dr. Martin Gerlach

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