Neue Methoden der Bibelinterpretation |
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Vortrag am 03.08.2005 Ich möchte dieses Thema in fünf Punkten abhandeln. Zunächst
möchte ich zitieren, was Prof. Josef Ratzinger in einem Buch aus dem
Jahre 1968 sagte, das den Titel hat: "Einführung in das
Christentum". Es war ein viel beachtetes Buch. Nun aber zum Anfang: Ich kann mich aus folgenden Gründen diesem Urteil Ratzingers
überhaupt nicht anschließen: 1. Die Berichterstatter der Bibel sind keine Augenzeugen. Wir haben
keine Worte Jesu. 2. Die Evangelisten sind Theologen und nicht nur Sammler der
Tradition. Sie interpretieren die Tradition neu entsprechend der
Situation ihrer Hörer. 3. Die hervorragende katholische Exegese interpretiert - man redet
heute von einem consensus exegeticus zwischen der evangelischen und
katholischen Exegese. Die Substanz des christlichen Glaubens ist in
keiner Weise gefährdet gewesen. Natürlich gehen im Laufe von 2000
Jahren auch mal Traditionen verloren, indem sie ihre Bedeutung
verlieren. Die Menschen verstehen das nicht mehr. Dafür wird anderes
wieder gewichtiger. Diesen Wechsel kennen wir alle aus unserer eigenen
Glaubensexistenz. Einmal sind wir paulinisch interessiert, dann sind
uns aber die Evangelien wieder wichtiger. Aber die Substanz bleibt
erhalten, auch im Wandel der Bedeutung. Die entscheidende Entgegnung auf Prof. Ratzinger muss wohl die
sein, dass sein Glaubensbegriff von mir auf keinen Fall
nachzuvollziehen ist. Glaube scheint für ihn ein Sack zu sein, den
man mit den Entscheidungen der Kirche zu füllen hat. Je voller der
Sack ist, umso besser ist der Glaube. Es geht nicht darum, dass ich
das verstehe, die Interpretation führt ja dazu, dass ich wichtige
Dinge verliere. Dieses Verständnis des Glaubens als Füllung eines
Sackes finde ich unmöglich. Ich habe keinen Sack, ich glaube an
nichts, ich glaube nur. So ist das Urteil von Prof. Ratzinger als
Einstieg in eine Interpretation moderner theologischer
Interpretationsversuche wohl nicht hilfreich. 4. Es gilt noch etwas anderes hinzuzufügen: Wir Theologen arbeiten
nach der wissenschafts-theoretischen Vorstellung von Karl Popper. Die
Theologie hat nicht die Vorstellung der Kirche zu verifizieren, die
Theologie hat die Aufgabe, die Lehre der Kirche zu falsifizieren. Wenn
sie nicht falsifizierbar sind, dann gelten sie, wenn sie falsifiziert
werden können, dann muss man neu überlegen. Ich glaube, dass dieses
wissenschafts-theoretische Modell der Sache am nächsten steht. Wir sind der Überzeugung, dass die Bibel von Menschen geschaffen
ist. Menschen reden in dieser Bibel von Gott. Nur so ist die Bibel
Gottes Wort. Ist die Bibel vom Menschen geschaffen, so kann sie auch
behandelt werden wie andere Texte, die Menschen geschaffen haben. Wir
haben dieselben philologischen Methoden wie die Germanisten. Damit
beenden wir die Vorstellung der Inspiration der Bibel, aber auch die
Vorstellung davon, dass die Schreiber der Bibel inspiriert sind. Diese
Inspirationsvorstellung sollte Gott sichern als den Verfasser der
Texte. An dieser Stelle muss man bedenken, dass der Islam dasselbe Problem
hat. Es gibt islamische Theologen, die den Koran als unerschaffen
sehen, also von Gott gegeben, andere sehen ihn als erschaffen, also
vom Menschen gemacht. Die Unerschaffenheit des Korans ist heute die
Ursache des Fundamentalismus, den wir alle erleben. Lassen Sie mich zitieren aus dem Feuilleton der Neuen Züricher
Zeitung vom Freitag, dem 05.08.2005 aus einem Artikel, der die
Vorgänge in England reflektiert: 5. Wir sind gewohnt, dass der Pfarrer die Bibel interpretiert, ja,
dass er in dieser Interpretation manchmal sich doch dogmatisch
gebärdet. Er, der Pfarrer, ist die Autorität, der Gläubige hat
dieses autoritär verkündete Gut aufzunehmen. Diese Position können
wir heute nicht mehr nachvollziehen. Nicht der Prediger ist die
Autorität, sondern der Text muss wieder Autorität werden. So ist die
These: Nicht wir interpretieren die Bibel, sondern die Bibel
interpretiert uns, gibt Auskunft über uns. Wir stehen ja vor dem
Problem der Korrelation von Frage und Antwort. Der Theologe hat die
Frage der Menschen zu formulieren und den biblischen Text zu
interpretieren im Hinblick auf die Frage der Menschen. Der Theologe
ist nur Medium. Die Fragen müssen echte Fragen sein, sie dürfen
nicht solche Fragen sein, die auch noch dem Hörer vorgeschrieben
werden, wie das in Luthers Kleinem Katechismus der Fall ist. Diese
Umkehrung der Autoritäten vom Pfarrer zum Text hin hat Hans-Georg
Gadamer in seinem großartigen Buch "Wahrheit und Methode"
verdeutlich und uns geschenkt. Ich möchte daraus zitieren: "Es ist ja überhaupt nicht so, dass die Heilsbotschaft aus
dem Gedanken des Predigers heraus erst ihre nähere Bestimmung
erführe. Er spricht als der Prediger vor der Gemeinde nicht mit
dogmatischer Autorität, wie das der Richter tut. So geht es auch in
der Predigt um die Auslegung einer gültigen Wahrheit. Aber diese
Wahrheit ist eben Verkündigung. Ob diese gelingt, entscheidet sich
nicht durch den Gedanken des Predigers, sondern durch die Kraft des
Wortes selbst. Die Verkündigung lässt sich nicht von ihrem Vollzug
ablösen. Alle dogmatische Fixierung der reinen Lehre ist
sekundär." An dieser Lehre halte ich fest. Nicht ich bin Autorität, sondern
ich muss so vorgehen, dass der Text Autorität ist. 6. Als Beispiel möchte ich gern erwähnen die
Überlieferungsgeschichte. Ich überspringe jetzt weitere Etappen der Tradition und erwähne
noch die beiden Bücher der Chronik aus dem 4. vorchristlichen
Jahrhundert. Hier ist David allein damit beschäftigt, den Tempel und
das Leben im Tempel zu gestalten. Hier ist nichts mehr von moralischer
Frivolität und auch nicht von kriegerischer Aggressivität zu
spüren. Diese Tradition wird in der Weihnachtsgeschichte verarbeitet.
Dieser Jesus, der Jude war, und dessen erste Anhänger auch Juden
waren, sollte von diesen ersten Anhängern aus dieser davidischen
Tradition her interpretiert werden. Er war jetzt der erwartete
Davidide und so der Messias. So wird die Davidüberlieferung auch an
einer entscheidenden Stelle bei Jesus wichtig: Er muss in Bethlehem,
der Stadt Davids, geboren sein. Dies ist kein historisches Faktum,
sondern ist eine Umgestaltung der Tradition. Für Theologen, die die
Überlieferungs-geschichte ernst nehmen, entsteht nun die Frage: Ist
das noch unser Problem? Ist der Sitz im Leben dieser Geschichte und
dieser Tradition noch unser Problem und hat er noch bei uns seinen
Sitz im Leben? Diese Geschichte ist von daher neu zu überdenken. Es
ergibt sich daraus für uns die Frage, wie begründe ich heute die
Messianität und die Heils-bedeutung Jesu. Die Problematik, die sich
aus dem Sitz im Leben der Geschichte ergibt, wird von mir aufgenommen,
aber die Lösung, die die Weihnachtsgeschichte gibt, muss neu bestimmt
werden kann. Das nennen wir überlieferungsgeschichtliche Forschung. So habe ich Überlieferungsgeschichte, die Geschichte der mündlichen Tradition, und Redaktionsgeschichte, die Wandlungen nach der Verschriftlichung als Modell vorgeführt. Dieses sind Ansätze für eine neue Bibelinterpretation. Es gibt aber noch viele andere Arbeitsmethoden, die ich jetzt nicht alle darstellen kann. Dr. Martin Gerlach
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