Theologische Überlegungen zu Karfreitag

 
   
Vortrag, 23.03.2005

Jesus hat seinen Tod nicht gedeutet. Wenn man im Neuen Testament solche Texte findet, so sind dies sogenannte "Vaticinia ex eventu", d.h. Voraussagen nach dem Ereignis. Damit will man theologische Entwicklungen im Nachhinein legitimieren, indem man sie dem Jesus in den Mund legt.

Die frühe Kirche hat dann begonnen, die Bedeutung Jesu zu verdeutlichen, indem Tod und Geburt Jesu wichtig wurden. Der Tod war wichtiger als die Geburt. Die Geburt wurde später reflektiert. Im biblischen Befund haben nur Matthäus und Lukas Geburtsgeschichten. Die Deutung des Todes Jesu hat sicher ihr Vorbild im Kap. 16 des 3. Buches Moses, also des Levitikus. Hier sprengt der Priester zur Versöhnung Blut über den Altar.

Paulus übernimmt die Deutung vom Tod Jesu. Er deutet den Tod Jesu aber in vielfältiger Form. Die kirchliche Tradition übernahm nur den Gedanken des Sühnetodes. Ich halte diese Aufgabe der Polyphonie biblischen Befundes in der Tradition für bedauerlich.

Für Augustin bedeutete dieses Denken des Paulus, er starb für meine Sünden, der Ausgangspunkt seines Denkens und er vertiefte dies. Die Menschheit ist eine massa perditionis, zum Verderben bestimmt und dem Verderben preisgegeben. Die Frage, wie er denn dies begründen wolle, beantwortet er mit der Erfinden der Erbsündenlehre. Durch die Erbsünde konnte er beweisen und nachweisen, dass alle Menschen sündhaft sind. Diese Vorstellung Augustins wird sehr schön reflektiert in dem Buch des katholischen Mediävisten aus Bochum, Kurt Flasch, mit dem Titel "Die Logik des Schreckens". Ich zitiere einmal Flasch, um zu verdeutlichen, was diese augustinische Verschärfung der ursprünglichen Deutung des Todes Jesus bedeutet: "Seine Erbsündenlehre ist also kein ursprünglicher Mythos, sondern ein raffiniertes intellektuelles Produkt. Es ist eine begriffliche Konstruktion, der er faktischen Wert zuschreibt, weil sie die einzige Lösung in einer gedanklichen Schwierigkeit zu sein scheint. Er sieht jetzt die Gerechtigkeit Gottes bedroht, und in diesem Konflikt siegt, wie er selbst sich ausdrückt, die Gnade. Um einen gedanklichen Aufbau zu sichern, opfert er das, was man Persönlichkeitsprinzip nennen könnte. Er baut das spätantike Persönlichkeitskonzept ab zugunsten einer Kollektiv -betrachtung der Menschheit. Die Menschheit insgesamt hat sich von Gott abgewandt; Adam hat für alle gehandelt, und sein Tun war Sünde. Augustin definiert, frühere Formulierungen zusammenfassend, en passant, was Sünde ist: Sünde ist die Abwendung von dem höheren Gut, dem Schöpfer, und die Zuwendung zum niederen Gut, zum Geschaffenen. Seitdem ist jeder, auch der Ungeborene, im eigentlichen Sinne des Worte, schuldig. Seitdem hat jeder den ewigen Tod verdient. Seitdem sind wir alle sterblich." Ich selbst finde diese Formulierungen wirklich treffend und würde die Definition und die Beurteilung von Kurt Flasch völlig übernehmen. Das ist die Logik des Schreckens!

Die Weiterentwicklung dieses Sühnetodes und seiner Deutung findet dann bei Anselm von Canterbury statt. Er ist 1109 gestorben. Anselm ist uns bekannter durch seinen Gottesbeweis, der heute noch in Theologie und Philosophie diskutiert wird. Er bietet diesen Gottesbeweis im 2. Kapitel seines Proslogion. Er lautet so: "Gott ist aliquid quo majus nihil cogitari potest". Interessant ist natürlich, dass Anselm vor dem 2.Kapitel in dem 1. Kapitel ein Gebet zu Gott formuliert, aber man muss feststellen, dass Anselm den Versuch unternimmt, ohne die Bibel zu zitieren, um für jedermann, gläubig oder ungläubig, die Existenz Gottes wichtig zu machen. Unser Problem verhandelt er in seinem wichtigen Buch "Cur Deus homo". Hier geht es darum, dass der Sühnetod Jesu aus einem besonderen Grunde noch wichtig ist. Der Mensch ist schuldig, er müsste Sühne bringen. Dies kann er nicht, Gott würde seine Sühne nämlich nicht anerkennen. Gott erkennt nur die Sühne eines Gleichgestellten an, nämlich des Sohnes Gottes. Dies ist eine Verschärfung und weist hin, dass die Sühne nur geleistet werden kann durch diesen Jesu aus Nazareth.

Ich springe ein wenig und komme jetzt ins 14.Jahrhundert. Ich möchte Dantes "Göttliche Kommödie" erwähnen. Dante hat ja 3 Stufen für die Möglichkeit der Existenz nach dem Tode: das ist die Hölle, das ist das Fegefeuer und das ist das Paradies. Hier tritt zum ersten Mal expressiv verbis der Gedanke der Theodizee auf. Wenn Gott gerecht ist, da kann er nicht gleich nach dem Tode die Menschen einteilen in solche die, die in die Hölle gehören und in solche, die ins Paradies kommen. Er muss eine Zwischenstufe schaffen, und diese Zwischenstufe ist eben das Fegefeuer. Hier ist der Läuterungsberg, der erstiegen werden kann, um doch das Paradies zu erreichen. Es gibt Vorstufen, in denen der besonders schwere Sünder verweilen muss, ehe er den Läuterungsberg ersteigen kann. Schön finde ich die Vorstellung des Dante, die hilfreich ist, wenn eine alte Witwe Fürsprache für den Sünder tut, um den Läuterungsberg möglichst schnell überstehen zu können. Man muss nun betonen, bei dieser Erwähnung Dantes, dass Dante einem alten Schema angehört, die eigentlich prägende Gestalt des 14. Jahrhunderts war Francesco Petrarca. Hier entsteht ein völlig neues Menschenbild. Hans Blumenberg hat die These vertreten, dass mit Petrarca die Neuzeit beginnt.

Ich muss zu Luther übergehen. Luther hat die paulinisch- augustinische Lehre auch radikalisiert. Der Mensch ist simul justus et peccator. In Wirklichkeit ist der Mensch Sünder, gerecht ist er nur, weil Gott ein barmherziges Urteil über ihn fällt. Seine persönliche Qualität bleibt immer die des Sünders. Die katholische Theologie hat dieses etwas optimistischer im Menschenbild aufgenommen. Aber diese Rechtfertigungslehre ist auch dort zu finden. Dieses Urteil des justus ist bei Luther begründet eben auch in dem Sühnetod Jesu am Kreuz.

Was ist zu dieser Entwicklung zu sagen?
Ich möchte zunächst auf Eugen Biser hinweisen, der in seinem Paulus-Buch, das jüngst erschienen ist, die These vertritt, dass diese juristische Definition des Verhältnisses Gott - Mensch im paulinischen Denken nur ein Nebenkrater ist. Der Hauptkrater ist die Mystik. Biser kommt zu dieser These, indem er die theologischen Arbeiten Albert Schweitzers verarbeitet, besonders dessen Buch über die Mystik des Apostels Paulus. Eine solche mystische Formulierung ist die im Neuen Testament oft vorkommende Begrifflichkeit "sein in Christus" oder "ist Christus in mir, so bin ich eine neue Kreatur". Albert Schweitzer versteht dies schon als mystisch, und Eugen Biser nimmt dies auf. Dieses sollte uns dieser Tradition gegenüber, die Gott und Mensch nur im juridischen Verhältnis denken kann, skeptisch machen.

Bei der Beurteilung dieser juridischen Tradition möchte ich auch darauf hinweisen, dass ich nicht mich in der Situation und die Menschen überhaupt nicht in der Situation sehen kann, dass einer für sie sterben muss. Das steht im Widerspruch zum neutestamentlichen Denken. Ich zitiere zur Untermauerung meiner These den französischen Dominikaner Jaques Pohier: "Welchen Gott stellt Jesus in den Gleichnissen vor. Es ist das genaue Gegenteil eines Gottes, der es nötig hätte, dass ihm ein Erlösungsopfer dargebracht wird, und sei es durch seinen Sohn, um das verirrte Schaf wieder zu finden. Die einzige Opferung, von der in diesen Gleichnissen die Rede ist, ist die Schlachtung des Mastkalbs vor dem Fest, das der Vater für den zurückgekehrten verlorenen Sohn veranstaltet. Nie zeigt Jesus Gott und den Sünder in einer Lage, in der es so sehr zum Bruch gekommen ist, dass nur durch einen Tod hindurch die Gemeinschaft wieder hergestellt werden kann. Er zeigt im Gegenteil Gott immer als einen, der mit dem Sünder die Gemeinschaft wieder aufnehmen kann und will, obwohl dieser eben Sünder ist. In keinem einzigen Gleichnis stellt Jesus die Sühne für die Sünde, Sühne durch den Sünder oder irgendeinen Stellvertreter, als die Vorbedingung für das Kommen des Reiches dar; vielmehr zeigt er stets, wie die Bekehrung des Sünders und die eventuelle Tilgung der Sünde eine Folge des Kommens des Reiches sind, gleichsam seine Frucht, sein Ergebnis, eine Forderung, die aus der Dynamik des durch das Heil Gottes eröffneten Reiches bestand. Die von Jesus verkündete frohe Botschaft lautet nicht: Das Reich wird endlich anbrechen können, weil die Menschen sich endlich bekehrt haben oder ein Erlöser sie endlich loskaufen wird. Die frohe Botschaft Jesu lautet dagegen: Das Reich Gottes ist da, es ist da für die Kranken, für die, denen es schlecht geht, die im verkehrten Glauben leben, die auf Abwege geraten sind, für die Unwissenden, für die Sünder, jawohl, für die Sünder. Folglich werden alle geheilt werden können und das Leben wieder finden."

Meine weitere Überlegung ist die: Was ist das für ein Gott, der versöhnt werden muss? Alle Anstrengungen des Menschen sollen aufgebracht werden zur Versöhnung, ein Mensch wird sogar geopfert. Meine Vorstellung ist die, dass nicht Gott versöhnt werden muss, sondern den Menschen Versöhnung zuteil wird von diesem Gott, Akzeptanz von diesem Gott, damit er Mut behält, sein Leben weiter zu führen. Der Gott des biblischen Denkens ist der Gott, der mit einem fragwürdigen Volk eine Geschichte eingeht ohne Wenn und Aber. Deshalb bin ich Christ, weil ich zu diesem Volk gehöre, mit dem Gott ohne Wenn und Aber eine Geschichte eingeht.

Man müsste auch das Urteil der Orthodoxie zu diesem juristischen Verständnis des Verhältnisses von Gott und Mensch eben zur Kenntnis nehmen. In dieser Theologie wird dieser Gott als ein Banker verstanden. Er hat Menschen, die ihm Rückgabe schulden, sie können das nicht, und weil sie es nicht können, müssen sie verurteilt werden. Aber es gibt eine Lösung, ein anderer kann die Schuld bezahlen. Das juridische Verständnis im Verhältnis von Gott und Mensch ist in der Tat nach dem Prinzip des Bankers gestaltet.

Ich möchte hinweisen in Weiterführung dessen, was Eugen Biser so schön gesagt hat, auf die mystische Tradition der Orthodoxie, also der Ostkirche. Die Versöhnungslehre dieser Kirche wird durch Athanasius von Alexandrien zunächst so formuliert: "Gott wurde Mensch, damit wir göttlich wurden." Nach Athanasius ist die Vergöttlichung, also das Ziel der Menschwerdung Gottes in Christus damit zugleich auch Ziel und Sinn des menschlichen Seins. Zu ihr ist das Geschöpf berufen. Aber dieser Begriff Vergöttlichung darf nicht ontologisch verstanden werden. Die Väter dachten in personalen Begriffen und an dieser Stelle ging es um das Geheimnis personaler Gemeinschaft. Vergöttlichung bedeutet personale Begegnung. Sie ist diese innere Begegnung des Menschen mit Gott, in der die ganze menschliche Existenz sozusagen von göttlicher Gegenwart durchflutet wird. Anders ausgedrückt: Vergöttlichung ist Teilhabe am göttlichen Leben. Diese Vorstellung, diese mystische Sicht des Gottesverhältnisses scheint mir sinnvoll zu sein, ich bekenne mich dazu, und lehne jede juridische Gottesbestimmung des Verhältnisses zum Menschen ab.

Martin Gerlach

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