Predigt in der Neanderkirche am 13.12.2006

 
   

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Predigt von Dr. Martin Gerlach
zum Abschluss des 2. Semesters 2006
Theologiekurs in der VHS

Am Mittwoch, 13.12.2006 in der Neanderkirche, Düsseldorf-Altstadt


Predigttext: 1. Johannes 3, 1-3

Meine Damen und Herren, liebe Freunde!

Wir haben uns in den letzten 4 Monaten bei unserer theologischen Arbeit in der VHS darum bemüht, den historischen Jesus zurück zu gewinnen. Damit haben wir uns abgesetzt von dem Christus, der ein Produkt der Kirche ist. Bei der Gestalt des Christus ist der historische Jesus völlig verschwunden. Dies halte ich für gefährlich für den christlichen Glauben, wenn er seine Basis aufgibt und nicht mehr reflektiert. Da wir in der Weihnachts-zeit sind, ist es sicher angebracht, diesen historischen Jesus wieder voll für uns neu zu entdecken.

Unser Text beginnt mit der Weihnachtsbedingung: Sehet!

Die Rückfrage nach dem Sehen ist sicher angebracht, denn es hat das Neue Testament viele Blindenheilungen Jesu. Sehen ist für ihn wichtig. Ich möchte diesen Imperativ in zwei Richtungen interpretieren. Wir müssen uns ein neues Sehen angewöhnen. Das Heilige liegt nicht auf der Straße, wenngleich ich in dieser vorweihnachtlichen Zeit manchmal den Eindruck habe. Das Heilige ist nicht zu finden mittels eines Beweises. Das gilt auch, wenn wir darunter immer wieder leiden. Sehen bedeutet vielmehr: Sich öffnen, Bereitschaft entwickeln, sich beschenken zu lassen. Im Grunde genommen zielt das Sehen auf Anbetung hin. Christian Fürchtegott Gellert hat das in einem Liedvers schön und richtig erkannt:

„Wenn ich das Wunder fassen will, so steht mein Geist in Ehrfurcht still.

Er betet an und er ermisst, dass Gottes Lieb unendlich ist.“  

Die andere Seite des Sehens würde ich so interpretieren:

Blick einmal weg von all dem, was dich sonst fasziniert, sei es positiv oder negativ,

blick einmal weg von all dem, was dich sonst gefangen hält und auch beschäftigt.

Öffne dich für ein neues Faszinosum. Dieses Wegblicken heißt nicht, Wandern aus der Welt. Es ist nur Atem holen im weltlichen Verlauf, um dann wieder neu das Leben zu bewältigen, besser zu bewältigen.

Wer die Weihnachtsbedingung erfüllt, dem begegnet sehr schnell im Text die Weihnachtswirklichkeit. Unser Text definiert die Weihnachtswirklichkeit mit der Aussage:

„Welche eine Liebe hat uns der Vater gezeigt.“ Liebe des Vaters. Was bedeutet das eigentlich genau? Das Wort ist ja abgegriffen. Die Liebe des Vaters kann sehr schnell zum „Lieben Gott“ führen, und damit wäre dann alles zu Ende. Das ist eine gefährliche Begrifflichkeit.

Liebe des Vaters: Ich möchte 2 Aussagen darüber machen.

Zunächst finde ich einen guten Ausdruck über die Liebe des Vaters bei Paulus im 13. Kapitel des Korintherbriefes, wo er formuliert:

„Ich werde erkennen, wie ich erkannt bin.“ Ich werde erkennen, dass ich erkannt bin.

Dies gibt mir Freiheit. Ich brauche nicht mehr aus mir zu machen, als ich schon bin. Ich bin angenommen, akzeptiert, so wie ich jetzt bin. Es gibt mir einen Freiraum, indem ich nicht mehr gezwungen bin, schauspielerisch tätig zu sein, um Menschen zu gefallen. Hier bin ich so, wie ich bin, akzeptiert und gewollt.

Das Zweite, was ich von der Liebe Gottes sagen kann, ist dieses:

Der Gott, den Jesus uns nahe bringt, verzichtet auf Allmacht. Er geht ein auf die Menschen. Er geht mit den Menschen. Er steht ihnen bei. Er will nicht Gott sein ohne mich. Diese Vorstellung von dem mitgehenden Gott finden wir sehr viel im Alten Testament. Viele Juden haben so den Holocaust bewältigt, indem sie um den mitgehenden Gott wussten und sich dadurch geborgen fühlten.

Jedenfalls diese beiden Definitionen der Liebe Gottes bedeuten meine Würde. Hier ist meine Würde nicht das Endprodukt meines Leistens oder meiner Fehler, hier ist Würde ein Zuspruch, der von meinem Leisten unabhängig ist und deshalb immer gilt ohne Ende.

Vielleicht kann man diesen Gott mit Jaques Pohier , dem Franzosen, so ausdrücken:

„Gott ist mein Freund:“

Ich möchte dies noch verdeutlichen durch ein Zitat aus dem Werk „Wenn ich Gott sage“

von Jaques Pohier: „Oft ist in den Gleichnissen von der Sünde die Rede: Sünde, in denen sich die Menschen befinden, Sünde, aus der sie Gott retten will, Sünde, zu deren Reue sie Jesus aufruft, Sünde, für die sie gestraft werden, wenn sie nicht bereuen. Umso seltsamer berührt es aber, dass Jesus dieses Heil und diese Vergebung niemals als Frucht eines Opfers oder einer Erlösungstat hinstellt, deren Initiative Gott zukäme und die er einem Messias, einem Propheten oder sonst einem Menschensohn vorschlüge oder auferlegte. Nie stellt Jesus den sündigen Menschen so dar, als könne er nur gerettet, als könne ihm nur vergeben werden, wenn einer an seiner Statt mit dem Tod, den er Gott schuldet, bezahle.

Endlich und vor allem stellt Jesus sich niemals als den dar, der durch den Tod dieser göttlichen Initiative entspräche oder durch seinen Tod diese menschliche Schuld begliche.“

Ich finde diese Überlegungen bei Jaques Pohier deshalb so wichtig, weil sie wirklich durch Behandlung der Gleichnisse zurück führen auf den historischen Jesus, und sich zugleich absetzen von all dem, was über den Christus gesagt und berichtet wird.

Es gibt aber noch eine Seite der Weihnachtswirklichkeit zu bedenken. Gottes Bild prägt immer das Menschenbild. Der allmächtige Gott will den allmächtigen Menschen. Oswald Spengler definiert den allmächtigen Menschen als einen heldischen Menschen. Die Nazis haben den allmächtigen Menschen definiert als einen, der hart ist wie Kruppstahl. Aber dieser Mensch ist unfähig, Leid an sich heran zu lassen. Er ist auch unfähig, zu seinem eigenen Leiden Ja zu sagen. Er ist unfähig und schämt sich zu trauern. Das Gottesbild Jesu will den mitleidenden, mitgehenden Menschen, der sich öffnen kann für das Leid der anderen, und sich seines eigenen Leides nicht schämt. Er ist dann nicht heldisch. Ich halte diese Beeinflussung des Gottesbildes auf das Menschenbild ganz wichtig. Wir dürften das nie vergessen.

Nach Weihnachtsbedingung, der Weihnachtswirklichkeit kommt nun das Weihnachtsziel. Wir  sollen Gottes Kinder sein. Ich bin also nicht Kind des Schicksals oder der Sinnlosig-keit, ich bin nicht Kind des Zufalls, ich bin auch nicht Kind meiner sozialen Prägung. Ich bin mehr. Friedrich Gogarten hat recht daran getan, wenn er uns darauf hingewiesen hat, den Begriff Kind durch den Begriff Sohn oder Tochter zu ersetzen. Beide verwalten ein Erbe. Sie sind schon in dem Alter, dass sie das können. Das ist das Kind Gottes, das ist das Kind, das gewollt ist. Es sind Sohn und Tochter, der tätig sind, die das weitergeben, was sie empfangen haben. Aber genau hier beginnt nun das Problem, hier entsteht eine Spannung. Ich lebe auf der einen Seite in der Wirklichkeit der Weihnacht mit dem mitgehenden Gott, geborgen und nicht allein. Ich lebe auf der anderen Seite in dieser Weltwirklichkeit, mit den Sinnlosigkeiten und deutlichen Anzeichen, dass ich nicht gewollt bin. Ich lebe in einer Welt, in der Leistung beurteilt werde, in der ich verurteilt werde, wenn ich am Leisten versage. Diese Spannung des Weihnachtszieles muss durchgehalten werden. Gehe ich nur in die Gotteswelt, verlasse ich diese Welt und lande im Wolkenkuckucksheim. Gehe ich nun in diese Welt, gehe ich an der Welthaftigkeit zugrunde. In dieser Spannung hilft nur eins: Ich muss von diesem Gott und seinem Mitgehen, seinem Bekenntnis zu mir, faszinieren lassen. In der Erfahrung dieses Faszinosums ist die Welt und ihre Wirklichkeit zwar da, aber sie ist relativiert, sie spielt nicht mehr die Rolle, sie ist nicht mehr erdrückend.

Wir müssen jetzt, wie es der Text will, reden von der Weihnachtstragik.

„Die Welt kennt ihn nicht und sie kennt uns nicht.“ In weihnachtlichen Bildern begegnen uns oft Ochs und Esel. Das ist ein Wort des Propheten Jesaja, der seinem Volk sagte:

„Ihr seid dümmer als Ochs und Esel. Diese kennen ihren Herrn, ihr kennt ihn nicht.“

Hier ist die Tragik. Wir können die Weihnachtswirklichkeit und das Weihnachtsziel nicht beweisen, wir müssen uns einfach verlassen auf eine Botschaft, die am Anfang der Jesusbewegung stand. Diese Botschaft hat eine lange mündliche Überlieferung. Sie ist während der Überlieferung verdreht worden. Wir müssen sehr vorsichtig mit dieser Überlieferung umgehen und sie sehr genau interpretieren. Das ist für mich die eine Seite der Tragik. Die andere Seite ist für mich so zu verstehen: Wir gehen in unseren Bezügen in der Welt immer wieder zurück zum  allmächtigen Gott. Er soll uns helfen, darum beten wir. Und wir leiden dann, wenn keine Hilfe geschieht. Sie können das oft am Krankenlager und am Sterbebett erfahren, dass Menschen fragen, warum passiert mir das. Dahinter steht die Vorstellung, ich habe das doch eigentlich gar nicht verdient. Dieses Verlassen auf den allmächtigen Gott führt notwendig zu der Tragik der Theodizee. Es ist die Frage:   Si Deus justus unde malum. Wenn Gott gerecht ist, woher kommt das Leid. Das ist eine offene Frage, die nicht beantwortet werden kann, das ist eine offene Wunde, an der wir immer wieder leiden. Das Faszinosum des mitgehenden Gottes ist auch nach unserer Beurteilung der fraglichen Situation ist hilfreich, ist entscheidend.

Unser Text verweilt nicht lange bei der Weihnachtstragik, das ist gut so. Er ergreift sofort die Weihnachtshoffnung. Wir wissen noch nicht, was wir sein werden, wir wissen aber, was geschieht, wir werden ihn sehen, wie er ist. In der Gegenwart scheint mir oft nicht mehr der Fortschrittsglaube so wichtig zu sein, es begegnet mir Zukunftsangst. Nicht positive Utopien faszinieren uns, sondern negative Utopien sind charakteristisch. man redet in der Gegenwart davon, dass technische Gesellschaften Risikogesellschaften sind. So hat es der Münchner Soziologe Ulrich Beck formuliert. Und dies ist dann in der Tat angetan, Sorgen zu erstellen. Was wird aus mir, was wird aus der Welt, was wird aus der Geschichte? Wo sind Hoffnungen, dass sich diese Welt weiter belebt, dass ich in dieser Welt weiter leben kann?

Ich möchte zwei Antworten geben.

Die erste Antwort stammt von einem großen Theologen, der nicht evangelisch ist, der in der evangelischen Kirche leider keine Rolle spielt, der katholisch ist, aber auch nicht mehr so bedeutsam ist in der katholischen Kirche, wie er es verdient hat. Die katholische Kirche hat ihn zu lange missverstanden, hat mit ihm alle Probleme der Welt lösen wollen, hat ihn missbraucht. Es ist Thomas von Aquin. Er schreibt eine Summa. Seine Dogmatik besteht aus drei Bänden. Der erste Band redet von Gott. Das ist der Ausgang meines Weges. Exitus, Ausgang von Gott. Der zweite Band redet von Jesus als dem Mitgehenden, als dem, in dem Gott mit mir unterwegs ist. Das hat er mir gezeigt, dazu will er mich verführen, dass ich das begreife und mutig gehe. Und der dritte Band redet vom Reditus, von der Rückkehr. Ausgang von Gott und Rückkehr zu Gott. Das ist und bleibt meine Position  in dieser Welt in allen Fragwürdigkeiten, ich bin mir dieser Sache ganz sicher.

Zudem ist es echt hilfreich, dieses Übergreifende zu wissen und festzuhalten.

Ich muss noch, um diesen Thomas richtig zu verstehen, etwas deutlich machen:

Die griechische Sprache hat für Zeit zwei Begriffe: Chronos und  Kairos. Chronos ist die Chronologie, der Terminkalender, sind die zeitlichen Abläufe meines Lebens. Kairos ist die erfüllte Zeit. Biblisches Denken kennt nur den Kairos. Es wird aber auch zugestanden, dass negative Erlebnisse Kairos sein können. Unter diesem Wissen, im Kairos leben zu können, gewinnen wir Hoffnung. Aber es muss wiederum so sein, dass dieser Kairos ein Faszinosum ist.

Noch ein anderer Aspekt in der Weihnachtshoffnung ist die Aussage über mich. Was wird aus mir nach meinem Tode? Ich bin sicher, dass der mitgehende Gott auch im Tode und nach dem Tode der gleiche ist. Altes und Neues Testament reden von der Treue Gottes. Es kann nicht sein, dass die Episode des Todes mich von diesem Gott trennt. Ich muss mich hüten, dies auszuschmücken mit meiner Phantasie, ich muss mich hüten, mir vielleicht Gottesdienste auszudenken, die ich dann in der neuen Wirklichkeit Gottes dann erfahren und erleben werde. Paul Althaus, der bedeutende Erlanger Theologe, hat das am Ende des zweiten Bandes seiner Dogmatik sehr schön formuliert. Ich zitiere einmal:

„Fleisch und Blut werden das Reich Gottes nicht ererben können. Aber indem Gott die Gestalt zerbricht, bewahrt er die Person. Wir können die Person allerdings nicht gegenständlich-beschreibend unterscheiden von der vergehenden Gestalt und das Verbrechen nicht abgrenzen gegen das Bewahren. Es ist nicht möglich zu sagen: Dieses und das wird an uns vergehen, dieses und das wird erhalten, wieder hergestellt. Sondern: alles an uns muss verwesen und aufhören, und wir werden doch in unserem Personsein ganz bewahrt. Das ist das große Mysterium wirklichen Todes und wirklicher Erweckung und Erneuerung.“

Ich glaube, wir müssten uns einmal Gedanken darüber machen, ob es gut ist, den Begriff Auferstehung für das zu benutzen. Ich habe manchmal bei mir und bei anderen das Gefühl, dass hinter der These der Auferstehung die psychische Situation so ist, dass ich nicht loslassen kann. Wir müssen viel klarer und deutlicher sagen, dass der Tod ein Bruch ist. Dieses Wissen haben die Psalmisten so großartig uns vermittelt: „Es muss ein  Ende mit uns haben, und wir müssen davon.“ Aber es bleibt die Größe des mitgehenden Gottes.

Ich komme zum letzten Gedanken der Weihnachtsverpflichtung. „Wer einen solchen Glauben hat, der reinigt sich, weil auch er rein ist.“ Reinigen: das heißt Abkehr von allem Sich-selber-rühmen. Das heißt aber auch Abkehr von aller Überzeugung, dass ich mich in all und jeder Situation nur mir selbst verdanke. Weihnachtsverpflichtung ist Wachsen im Glauben. Mir ist auch der Vorwurf gemacht worden, dass ich den Kinderglauben zerstöre. Dazu bekenne ich mich auch, denn meine Hörer sind keine Kinder mehr. Ich weiß, dass der Wachstumsprozess einmal stoppen kann und auch nach rückwärts gewandt sein kann. So ist das mit dem Glauben. Aber auch die Situation mit dem Scheitern, des Zweifels, ist eine ernst zu nehmende Situation. Zweifel ist der Schatten des Glaubens und gehört dazu. Aber ich möchte die Weihnachtsverpflichtung noch einmal sehr deutlich sagen und damit ein bisschen wiederholen, was ich schon gesagt habe:  Sohn und Tochter sorgen dafür, dass die Botschaft Jesu weitergeht. Es bleibt dabei: Jesus ist auferstanden, dorthin, wo von ihm gepredigt wird. Da habe ich das, was mir so wichtig ist. Wir sollten das in dieser Klarheit uns ruhig sagen lassen. Es ist natürlich Anspruch an die Predigt, dass das, was dieser Jesus gebracht hat, auch wirklich zur Sprache kommt. Hier müssen wir Theologen uns immer sehr kritisch fragen, aber auch fragen lassen.

Ich möchte Ihnen wünschen, dass Sie über die Weihnachtsbedingung, Weihnachtswirklichkeit, dem Weihnachtsziel, der Weihnachtstragik und der Weihnachtshoffnung als Söhne und Töchter zur Weihnachtsverpflichtung kommen,

und so in dieser Zeit die Fülle der Weihnacht erfassen und ergreifen. Wir reden davon in einer Zeit, wo wir der Geburt dieses Jesus mit seiner großartigen Botschaft gedenken.

Ich möchte schließen, indem ich hinweise auf einen Theologen, der im Leben und im Sterben von dem mitgehenden Gott gewusst hat und in beiden Situationen von dem mitgehenden Gott sich getragen wusste und den Tod bestehen konnte. Es ist Dietrich Bonhoeffer:

Sie kennen  alle das Wort, aber dennoch sei es noch einmal gesagt:

Von guten Mächten wunderbar geborgen,

erwarten wir getrost, was kommen mag.

Gott ist mit uns am Abend und am Morgen,

und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

 

Amen

Dr. Martin Gerlach

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