Predigt im Walberberg im Oktober 2002

 
   

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Predigt von Dr. Martin Gerlach

während der Tagung der ehemaligen Mitglieder der Studentengemeinde in Köln im Oktober 2002

 

Predigttext: Johannes 3,1-8

Bei einem solchen Text ist es gut, dass man den Text selbst anfänglich auch noch einmal durchgeht, um festzustellen, ob während der Überlieferung Zusätze oder Änderungen den Text entstellt haben.

Dieser Text ist ein Dialog, der vom Evangelisten Johannes gestaltet worden ist. Johannes hat als Muster genommen die Streitgespräche, die im Judentum üblich waren. Es ist ein Streit-gespräch mit der Absicht, die Deutung dieses Jesus zu interpretieren. In diesem Gespräch findet ein Disput unter zwei Fachleuten statt, dem Pharisäer und dem Jesus, der als Meister angesprochen bleibt. Der Disput dieser Fachleute geht um das Heil der Menschen.

Nimmt man Vers 4 in der Interpretation vorweg, so kann man sagen, dass das Gespräch gescheitert ist. Beide hatten verschiedene Vorstellungen, von dem, was in ihren Religionen als Heil der Menschen propagiert wird. Wie ist der Unterschied: Johannes und damit Jesus sieht das Heil als Gottesmöglichkeit. Es ist interpretiert mit dem Begriff  'von oben geboren werden.' Es ist ein Heil, das unabhängig von meinem Sein und meinem Tun den Menschen erfasst. Es ist das Heil, das dem Menschen einen Wert zuspricht, der nicht von ihm genom-men werden kann. Der Pharisäer sieht das Heil als menschliche Möglichkeit an. Für ihn ist das Heil also etwas, was er selbst erwirken und für sich schaffen kann.

Dieser Text des Johannes hat Änderungen erfahren. Das Heil, das Jesus bringt, wird zusammengebunden in Vers 5 mit den Vorstellungen von Wasser und Geist. Das Heil hängt also von der Kirche ab, von der Taufe der Kirche. Dies ist aber im Ursprung nicht so gemeint.

Auch der Vers 6 ist sicherlich eine spätere Interpretation. Es geht um das Sein aus dem Fleisch und das Sein aus dem Geist. Es ist eine dualistische Sprachform. Aus dem Fleischsein heißt, aus dem gegebenen Leben. Aus dem Geist sein heißt, aus dem Leben, was mir zugesagt und versprochen ist. Aus dem Geist leben, erinnert an die Schöpfungsgeschichte. Hier atmet Gott den Menschen an und gibt ihm so Lebensmöglichkeiten. Letztlich ist der Gegensatz so, dass wir in der christlichen Botschaft immer vom Heil herkommen. Nach jüdischem Verständnis in diesem Text ist das Heil eine Möglichkeit, die als meine Möglichkeit vor mir liegt.

Vers 8 verdeutlicht dann noch einmal das christliche Heil: es ist wie der Wind, der bläst, wo er will, und dessen Sausen man hört, aber man weiß nicht, woher er kommt und wohin er fährt. Dieses aus dem Zuspruch Gottes, aus dem Geist leben scheint etwas Wunderbares zu sein, etwas Großartiges, etwas, was nicht alltäglich vorkommt, etwas, was aus dem Rahmen fällt, also etwas ganz Wunderbares.

Ich möchte jetzt in fünf Punkten den Text selbst interpretieren.

1. Das Heil als Zuspruch, es ist Ja zu meinem Leben, so dass auch ich Ja zu mir sagen kann.

Es ist die Vorstellung, dass Gott an mich glaubt, das bedeutet, dass ich für ihn ganz wichtig bin, dass er auch an mir festhält, wenn mir etwas misslingt. Ich bin nicht die Resultante meiner Umwelt, sondern ich bin letztlich die Resultante dieses Zuspruchs. Luther hat diesen Zuspruch mit dem Begriff "fremder Würde" artikuliert. Er will damit sagen, die Würde wird mir gegeben, aber sie kann mir auch unter keinen Umständen genommen werden. In keiner Situation des Lebens ist der Mensch würdelos. So bedeutet diese fremde Würde auch einen Schutz für den Menschen.

2. Ich denke manchmal, der Mensch ähnelt dem Tantalus. In einem See stehend, über seinem Haupt hat er köstliche Früchte, doch er kann seinen Hunger und seinen Durst nicht stillen. Wasser und Früchte weichen bei jedem Versuch, sie zu erreichen, zurück. Der Mensch ist gebunden. Wir sind sicher in vielfältiger Weise gebunden: an unserer Vergangenheit, die uns noch bestimmt, durch die Angst vor Schuld, sei die Schuld nun in der Vergangenheit oder sei sie eine zukünftige Größe, die mich hindert, zu handeln. Nach dem Zuspruch soll es so sein, dass der Gichtbrüchige laufen kann, denn das Heil ist ja vor ihm. So ist die Sünde nicht mehr eine Qualifizierung des Christen. Vor seinem Tun, auch vor der Sünde, ist ihm bereits der Zuspruch göttlicher Würde zuteil geworden.

3. Bei diesem Zuspruch werde ich selbst zum Schlachtfeld. Zwischen den beiden Möglichkeiten des Vertrauens auf diese Botschaft oder der Vorstellung nach der Devise "Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott". Sich zu diesem Zuspruch zu entscheiden, ist in unserer Zeit sicherlich schwer angesichts der Vielzahl von Heilbringern, die sich uns anbieten und uns angeboten werden. Aber es bleibt das Angebot bestehen: Heil als geschenkte Möglichkeit, als Gottes Möglichkeit.

4. Der Zuspruch macht mich zum Mitarbeiter Gottes. Das Ziel aller Arbeit des Christen, das Ziel aller Geschichte ist das Reich Gottes. Ich nenne dieses Ziel das absolute Ziel, weil es vom menschlichen Tun unabhängig ist, es kommt zu uns. Aber aus diesem absoluten Ziel können relative Ziele abgeleitet werden. Ist das Reich Gottes inhaltlich gefüllt mit Freude, Friede und Gerechtigkeit, dann leiten sich davon ab relative Ziele, die Herstellung von Friede, Gerechtigkeit und Freude in der Welt. Wie diese Ziele erreicht werden, welche Mittel angewandt werden müssen, bleibt vernünftig kontrovers. Dieses lässt sich inhaltlich aus der christlichen Botschaft nicht ableiten. Hilfreich ist für mich immer noch die Vorstellung um das Wort Friedrich Gogartens: "Befreit von der Sorge um mich selbst, bin befreit zum Besorgen der Dinge dieser Welt"

5. Dieser Zuspruch Gottes setzt mich frei in meinem Leben zu einer Suchbewegung. Ich bleibe ansprechbar auf Neues und Unbekanntes. Ich bin offen für Neues. Alexander Mitscherlich hat diese Art von Bildung, diese Art von Suchbewegung so beschrieben:

"Der Mensch ist gebildet, der seine jugendliche Ansprechbarkeit auf Neues und Unbekanntes erhalten hat. Er sucht nach Wissen und Methoden, Erfahrungen zu prüfen. Das Gewisse ist das Ende der Bildung". Der so mit göttlichem Zuspruch Behaftete verliert nie seine Offenheit für Neues und kennt keinen Bildungsabschluss. Im 1. Thessalonicher 5,21 wird dies noch einmal aufgenommen: "Prüfet alles, das Gute behaltet". Ich kann diese Offenheit mir leisten,

weil Gott ein Gott der Treue ist.

Ich möchte schließen mit einem Gedankengang Karl Barths. Er äußert dieses im 4. Band seiner Dogmatik, der den Titel hat: Die Lehre von der Versöhnung. "Es ist deutlich, dass der Zuspruch Gottes dahin führt, dass wir nicht mehr in der Dialektik von Moral und Unmoral existieren müssen, sondern dass jetzt die Dialektik von Zuspruch und Dankbarkeit gilt".

Amen

Dr. Martin Gerlach

 

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