Ansprache in Heidelberg 2007 |
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Ansprache am 17. Juni 2007 beim ESG Treffen in Heidelberg, Peterskirche der Universität
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Es geht um
die Frage aus dem Matthäus-Evangelium: (Matth. 11,2)
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„Wer
bist du eigentlich, Jesus?“
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Diese
Frage, die nach Matthäus Johannes, der Täufer, stellt, um sich zu
vergewissern, wer Jesus ist, ist die Frage, die heute im Mittelpunkt
theologischen Denken steht. Dies Denken trennt heute den historischen
Jesus von dem durch die frühe Kirchengeschichte entstandenen
Christus. Für unseren Glauben kann nur die Norm sein der historische
Jesus aus Nazareth, der Jude. Was die Kirche aus diesem Jesus auf dem
Wege zu Christus gemacht hat, ist sicherlich Produkt einer hohen
Reflexion, aber bedarf wohl einer Korrektur. Darum ist es gut, wenn
amerikanische Theologen Bücher schreiben mit dem Thema: „From
Christ back to Jesus“. Als
Konsequenz daraus ergibt sich die Tatsache, dass wir nicht an Jesus glauben, sondern bestrebt sind, wie
Jesus zu glauben. Das heißt, ein Leben zu führen in dieser
Gebundenheit an Gott, zu handeln und getröstet zu sein. Wer das tut,
wer das erstrebt, folgt Jesus nach. Ich weiß, dass mit dieser
Vorstellung viele Fragen aufbrechen, auch unsere christliche Erziehung
in Frage gestellt wird. Doch, ich bejahe diese Entwicklung. Ich persönlich
möchte glauben wie Jesus. Die
frühe Gemeinde hat die Messianität Jesu damit unter anderem begründet,
dass sie ihn als Abkömmling der David-Dynastie hinstellte. So musste
er in Bethlehem, der Stadt der Davididen, geboren sein. Nach unserer
Tradition war David um 1000 vor der Zeitenwende die Figur, die
Jerusalem erobert hat, damit den Nomaden einen festen Wohnsitz
vermittelt hat, den Tempelbau begonnen hat, den sein Sohn Salomo dann
vollendet hat. Schon früh wurde David eine besondere Wertung gegeben,
wie etwa die Geschichte vom Kampf
Davids mit dem Riesen Goliath zeigte. In der nachexilischen
Zeit gab es zwei Strömungen zur Bewältigung des Wiederaufbaus des
Landes. Die eine Strömung berief sich auf die Thora und meinte, damit
sei alles zum Leben Notwendige allezeit gegeben. Die
andere Strömung war eschatologisch ausgerichtet. Sie hatte die
Vorstellung, dass ein Messias kommen müsse, und dass dieser Messias
ein wiedererstandener David sein müsse. Hier hat also die Gestalt
Davids messianische Züge erhalten. Diese Vorstellung des Jesus als
Davididen geht bis in unser Liedgut unserer Tage. Denken Sie nur an
das bekannte Weihnachtslied: „Es ist ein Ros’ entsprungen aus
einer Wurzel zart, wo uns die Alten sungen, von Jesse kam die Art.“
Jesse ist eine Verballhornung des hebräischen Wortes Isai, und Isai
ist der Vater Davids. Auch die Stelle aus Lukas 1, 31-33, ist in
diesem Zusammenhang ganz wichtig. Auch muss man hinweisen auf den
Stammbaum Jesu, wie er im 1. Kapitel des Matthäus-Evangeliums bezeugt
wird. Es wird gesagt, Isai und David seien in seinem Stammbaum zu
vermerken und zu bedenken. Wenn
die frühe Gemeinde, die ja Juden waren, so dachte, ist dies zu
verstehen. Es war ihre Welt, sie lebten in
der Erwartung des Messias, der Davidide sein sollte. Nun
hat sich diese Davidbeurteilung durch die Archäologie völlig
verwandelt. Was der biblische Befund als Taten Davids berichtet, sind
nach archäologischen Erfahrungen alle erst möglich im 8. oder 7.
Jahrhundert. Sie können also nicht zur Zeit Davids sich ereignet
haben. Dann bricht die Frage auf, was ist denn David? Es gibt Archäologen,
die sagen, es hat ihn als historische Persönlichkeit nie gegeben. Ich
würde vorsichtiger sein und würde mit den Archäologen sagen: Der
historische David, der uns aus uns den archäologischen und
historischen Quellen entgegen tritt, wurde zunächst als Anführer
einer Räuberbande berühmt. Davids Guerillagruppe ist schnell und
mobil. Die Männer kommen bedrängten Bauern zu Hilfe, sie zwingen
einen überheblichen Herdenbesitzer in die Knie, überlisten den
Herrscher einer mächtigen philisteischen Nachbarstadt und entgehen
immer wieder den Nachstellungen des König Saulus. Davids Methoden
sind Erpressung, Entführung, Täuschung und körperliche Gewalt.
Seine Geschichte ist voller Absurditäten, komische Episoden und
unterhaltsamer Abenteuer, eine klassische Banditengeschichte, die dem
damals wie heute bekannten Muster folgt nach dem populären Rebellen
wie Robin Hood, mit
Wagemut und Schläue die korrupten, brutalen Machthabern ihrer Zeit
heraus zu fordern. Dieser David kann also nicht und darf auch nicht
das Modell sein, nach dem die Jesusgeschichte geprägt ist. Diese
durch Archäologen gefundene, neue Deutung des David macht uns auf ein
wichtiges Problem aufmerksam. Wir dürfen Deutungen von Geschichte in
vergangenen Zeiten mit Denkkategorien dieser Zeit nicht als
historisches Faktum verstehen. Die Deutung der jeweiligen Zeit ist als
Deutung nach zu vollziehen für die Zeit, kann aber auf keinen Fall
historische Faktizität erlangen. Ich
habe dies als ersten Teil meiner Überlegungen einmal hingestellt, um
zu verdeutlichen, wie schwer es ist, durch die Vielzahl der Überlieferungsstränge
hindurch den historischen Jesus zu entdecken. Ich
möchte nun einige Punkte oder einige Lebensauffassungen des
historischen Jesus vorführen, so weit wir das erkennen konnten und
heute wissen. Jesus
redet von der Liebe des Vaters. Diesen Begriff der Liebe des Vaters
hat Paulus sehr treffend charakterisiert, wenn er sagt: „Ich
erkenne, dass ich erkannt bin“. Dieses bedeutet doch wohl, dass Gott
mich erkannt hat und ich nun, als der, der ich bin, akzeptiert bin.
Ich bin gewollt. Diese Tatsache, dass ich von Gott gewollt bin, ist
meine Würde. Meine Würde ist nicht darin begründet, dass ich viel
leiste, sie ist auch nicht dadurch gefährdet, dass ich nur Schlechtes
leiste. Sie bleibt bestehen, auch wenn ich leistungsunfähig bin. Dies
gibt mir eine große inhaltliche Freiheit. Ich kann, weil ich ja
erkannt bin, mein Leben entwerfen und riskieren. Redet
Jesus von der Liebe des Vaters, hat Gott also väterliche Qualität,
dann ist sein Gottesbild nicht das Bild der Allmacht, es ist das Bild
des mitgehenden, des mitleidenden, solidarischen Gottes. „Und ob ich
schon wanderte in finsterem Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du
bist bei mir.“ Hieraus ergibt sich eine wichtige Konsequenz. Das
Gottesbild prägt das Menschenbild. Die Vorstellung des Menschen, die
Jesus hat, ist also nicht des Helden und des Mächtigen oder Allmächtigen.
Diesen Helden hat uns Oswald Spengler vor Augen geführt. Das
Gottesbild Jesu als des mitgehenden Gottes prägt das Menschenbild
insofern, als er einen Menschen will, der sich auf sein eigenes Leid
und auf das Leid des anderen einlässt. Er lässt das Leid der anderen
an sich heran kommen und schämt sich nicht seines eigenen Leides, er
kann im Falle des Leides trauern, sich zum Leid bekennen. Eine großartige
Konsequenz, die sich vom Vater Gott Jesu her für mich heute
ergibt, Jesus will Akzeptanz und Geborgenheit vermitteln. Einen
dritten Überlegungsgang möchte ich noch anschließen. Wie
sieht Jesu Hoffnung für Welt und Geschichte und für mich aus? Was
ist seine Zukunftssicht? Ich
halte mich bei dieser Deutung gern an die Vorstellung, die Thomas von
Aquin entwickelt hat, weil ich meine, sie entspräche den
Vorstellungen Jesu. Ich gehe von Gott aus, ich lebe mit dem
mitgehenden Gott, und ich kehre zu Gott zurück. Ich lande nicht
irgendwo, ich lande bei dem, von dem ich ausgegangen bin. Diese
Vorstellung wird auch wichtig, wenn man fragt: “Was wird denn aus
mir nach meinem Tode?“ Es gilt nicht, die Frage zu beantworten, was
wird aus mir nach meinem Tode, sondern die Frage heißt: „Was wird
aus Gott nach meinem Tode?“ Ich kehre zu ihm zurück, ich bleibe bei
ihm. Über das WIE kann ich
keine Aussagen machen, aber die Faktizität ist für mich
entscheidend. Dieses ist begründet in der Vorstellung der Treue
Gottes. Wenn Sie dies biblisch begründen wollen, müssen Sie aus dem
14. Kapitel des Römerbriefes die Verse 7-9 lesen: Keiner
lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. Leben
wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum:
Wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. Dies
drückt genau das aus, was wir über Zukunft und Gegenwart unter dem
Gottvater erleben und erfahren dürfen. Ich
habe immer Probleme mit dem Gebrauch des Wortes Auferstehung. Ich kann
dieses, was ich als Phänomen der Treue Gottes, Treue des Vaters
verstehe, nur schwer mit dem Begriff Auferstehung identifizieren.
Auferstehung ist ja eine vorchristliche Tradition aus der Apokalyptik
des 2.Jahrhunderts vor der Zeitenwende. So müssen wir uns schon
fragen, ob wir denn bei dieser Vorstellung so bleiben sollen. Manchmal
denke ich, wenn wir das Phänomen der Auferstehung so wollen, wie es
uns verkündet wird, sind wir Menschen, die
nicht loslassen können. Auferstehung heißt doch, alles bleibt, so
wie es ist, es wird sogar besser. Doch damit kann ich nicht leben. Sie
merken, man kann also vom historischen Jesus durchaus etwas sagen, was
mir wichtig ist, was mir hilft, zu dem Glauben zu kommen, den er
hatte. Es ist mir wichtig, weil ich ihm nachfolgen will. Und in diesem
Glauben ist Nachfolge eine Freude.
Martin Gerlach
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