Predigt in der Neanderkirche am 21.11.2007

 
   

Druckversion in Word

Predigt von Dr. Martin Gerlach

des Abschlussgottesdienstes des Theologiekurses

am 21. November 2007 in der Neanderkirche, Düsseldorf-Altstadt

Predigttext: Matth. 11, 2-6

 

Als aber Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger und ließ ihn fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?

Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht:

Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt, und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.

 

Liebe Freunde, meine Damen und Herren!

 

Wir erleben im Augenblick einen Streit um die Person Jesu. Der Papst hat ein wichtiges Buch veröffentlicht, um seine Sicht und Deutung der Person Jesu mitzuteilen. Hans Küng hat im zweiten Teil seiner Autobiographie seine Position sehr deutlich und engagiert dargestellt. Sie ist eigentlich der Papstvorstellung völlig entgegengesetzt. Jetzt hat auch noch der jüdische Religionswissenschaftler Jacob Neusner sich eingemischt. Sein Buch heißt: „Ein Rabbi spricht mit Jesus“. Also jetzt äußert sich der Rabbi zu dieser Problematik. Mich stört dieser Streit um die Person Jesu in keiner Weise. Wir streiten oft über so unwichtige belanglose Dinge. Dieser Streit ist lohnend. Die Verschiedenheit der Aussagen darf uns nicht stören.

Unser Text ist die Darstellung eines Vorganges um Jesus bei Matthäus. Hier fragt Johannes, der Täufer, aus dem Gefängnis sehr deutlich: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir noch auf einen anderen warten? Johannes der Täufer hat Kontakt zu Jesus, Jesus hat mit ihm gelebt, Jesus ist durch ihn getauft worden. Trotzdem fragt er: Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?

Das macht deutlich, dass die Unsicherheit über die Person Jesu, die uns heute bewegt, nicht eine Frage ist der modernen Zeit, sondern wohl eine Frage ist, die grundsätzlich mit der Gestalt Jesu verbunden ist. Der zeitliche Abstand von 2000 Jahren hat an dieser seltsamen Nichteindeutigkeit Jesu nichts geändert. Halten wir also fest: Die Person Jesu scheint im Inkognito zu bleiben, sie findet keine eindeutige Erklärung und Antwort. Nur so ist die Vieldeutigkeit zu erklären.

Lassen sich noch andere Quellen finden, an denen dieses Inkognito deutlich wird? Ich möchte darauf hinweisen, dass die jüdischen Landsleute Jesu ihn auch nicht einordnen konnten. Und, so kreuzigten sie ihn. Man muss auch bedenken, dass das Neue Testament eine Vielzahl von Jesusbildern hat. Johannes hat nichts zu tun mit dem Jesusbild von Matthäus, Markus und Lukas. Paulus hat mit allen vier Jesusbildern der Evangelisten nichts tun. Es gibt noch andere Deutungen im Neuen Testament. Auch dies ist ein  Hinweis für die Nichteindeutigkeit dieses Jesus aus Nazareth. Man muss auch noch bedenken, dass das Neue Testament in keinem Augenblick und an keiner Stelle die Person Jesu deuten und beweisen will, was sie ist, sondern es wird überall nur dieser Jesus bezeugt. Es werden Erfahrungen mit ihm weiter gegeben, es wird niemals ein logischer Beweis angestellt.

Vielleicht ist dieses Ergebnis für manche von uns störend. Wir kommen doch aus einer religiösen Sozialisation, in der uns die Kirche immer eindeutig gesagt hat, wer Jesus sei. Nun stellen wir fest, dass diese Botschaft in dieser Form nicht gültig ist.

Fragen wir wegen dieser unserer Fragen jetzt einmal: Was wäre denn, wenn er eindeutig wäre? Mir fällt zunächst auf diese Frage ein, wenn er in seiner Bedeutung und Messianität eindeutig wäre, dann hätten wir wahrscheinlich jetzt eine Ethik von ihm vorliegen, die 2000 Jahre zurück liegt, die deshalb kaum noch Aussagekraft für unsere Gegenwart hat. Die Zeiten ändern sich, und Ethiken müssen sich den Zeiten anpassen, um noch eine Wirkung ausüben zu können. Eine zeitlose christliche Ethik hätte keine Kraft mehr, denn die Zeit läuft unter ihr hinweg. Mir fällt ein Zitat aus der Theologischen Erklärung von Barmen aus dem Jahre 1934 ein. Diese Erklärung war eine Erklärung der sogenannten Bekennenden Kirche gegen die Theologen, die vom Nationalsozialismus beeindruckt waren, also den deutschen Christen. In dieser Erklärung heißt es:

„Jesus Christus ist der Herr unseres Lebens, es gibt keinen Lebensbereich, in dem er nicht Herr sei.“ Das kann man doch so nicht sagen! Was heißt denn eigentlich „Herr sein“? Kann man das in dieser abstrakten Form überhaupt nachvollziehen? Ich glaube, so kann man nicht mehr argumentieren. Die wichtigste Argumentation gegen die Eindeutigkeit ist die Tatsache, dass die Eindeutigkeit Jesu  auch Feindbilder entstehen lassen. Die eindeutige Aussage lässt keine Kritik zu, lässt keine Rückfragen zu, sie verlangt nur Gehorsam.

Wenn ich mir die Kirchengeschichte vergegenwärtige, habe ich die Frage:

Was ist wohl alles im Namen dieses Jesus und seiner Eindeutigkeit geschehen?  Wofür hat er alles die Verantwortung übernehmen müssen? Wieviel Menschen sind wohl umgekommen und verbrannt worden wegen der Eindeutigkeit? Wie viele Menschen sind wohl wegen der vermeintlichen Eindeutigkeit aus der Kirche ausgeschlossen worden, dies ist doch noch eine Erfahrung der Gegenwart.

Mir fällt bei diesem Überlegungsgang abschließend der Großinquisitor Dostojewskis ein. Da kommt der Jesus wieder, der Großinquisitor tritt ihm entgegen und sagt zu ihm: Wenn du kommst und bringst deine Freiheit, das überfordert die Menschen, das kann ich nicht zulassen. Ich sage, was zu tun  ist! Eine erschreckende Szene! Gut, dass diese Szene zwar heute noch passiert, aber nicht mehr ernst zu nehmen ist.

Doch eine Bemerkung ist noch hinzuzufügen zur erwähnten Ethik: Eine solche Ethik, die meint, das Herr-Sein Jesu zu betonen, verkennt, dass es in Lebensbereichen Eigengesetzlichkeiten gibt, die ethisch nicht erfassbar sind. Das betrifft den Bereich der Politik, das betrifft viele Lebensbereiche, in denen ich mich bewegen muss, es entsteht eine Eigendynamik, und die muss ich anerkennen. Wir reden heute in der Diskussion der Ethik um eine relative Eigengesetzlichkeit, wir verweigern die Annahme einer absoluten Eigengesetzlichkeit. Absolute Eigengesetzlichkeit würde jede Ethik unmöglich machen.

So möchte ich abschließend doch sagen: Gut, dass Jesus nicht eindeutig ist, wir sollten nicht traurig sein darüber.

Wir müssen jetzt feststellen, dass Matthäus ja eine Antwort gibt. Sie lautet:

Sagt dem Johannes: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt.

Es gibt also eine Antwort. Diese Antwort ist die Zitation aus dem großen Heilsweissagungskapitel 35 des Propheten Jesaja. Ich habe in diesen Tagen das Requiem von Brahms gehört und war ganz glücklich, dass Brahms einen Vers aus diesem großen Kapitel auch in seinem Requiem interpretiert hat.

Doch was besagt dieses Kapitel? Matthäus will doch damit sagen, Jesus gehört in den Kontext alttestamentlicher Geschichtsvorstellungen. Er hat sich nicht zu beweisen vor meinen Wünschen, es muss nur deutlich gemacht werden, dass er im alttestamentlichen Kontext der Geschichte steht. Das haben die frühen Christen, die ja Juden waren, in die Praxis umgesetzt. Es war im Judentum nach dem Exil die Notwendigkeit entstanden, das Volk und das Leben im Volk neu zu ordnen. Ein Teil der Menschen glaubte, man hätte die Basis dazu in der Thora, andere meinten, es müsse ein neuer David kommen, um gewaltsam und mit Macht und Autorität die Verhältnisse neu zu regulieren. Die frühe Gemeinde setzt dieses um, indem sie Jesus in Bethlehem geboren sein lässt, der Stadt Davids. In die Stammbäume Jesu machen Matthäus und Lukas Hinweise, dass David zu seinem Stammbaum gehört. Das ist die Deutung des Matthäus: Jesus gehört in die jüdische Tradition, von hierher, von seinem Judentum her, müssen wir ihn verstehen und deuten. Hans Küng schließt sich dieser Position an, ich folge dem sehr freudig. Wir müssen uns trennen von der Konstruktion, die im 2. Jahrhundert sich mit dem Jesus ereignete, er wurde der himmlische Messias, der Christus, der im Himmel beim Vater sitzt, der wiederkommen wird zu richten die Lebenden und die Toten.

Im Anschluss an Matthäus müssen wir heute den Weg gehen von dem Christus zu Jesus, wir müssen den Juden Jesus zurückgewinnen, ihn befragen, was er mir denn heute in dieser Zeit zu sagen hat. Wir müssen seine Botschaft erfahren. Diesen Weg, den Matthäus hier geht, ist heute Programm breiter Kreise der Theologie.

Doch, was ist die Botschaft dieses Jesus aus Nazareth? Wenn ich diesen Text des Matthäus einmal zusammenfassen soll, dann würde ich sagen, seine Vorstellung ist, dass kranke Kreatur wieder gesund wird. Und durch welche Botschaft wird sie gesund? Die Botschaft Jesu ist: Gott glaubt an mich!

Wenn jemand an mich glaubt aus meinem Umfeld jetzt, ist das für mich Kraft und Mut zum Tun und zum Handeln. Wieviel bedeutsamer ist es, wenn die Wirklichkeit Gottes nach Jesus ist, dass er an mich glaubt. Diese Vorstellung, dass Gott an mich glaubt, ist nicht begründet damit, dass dieser Jesus für meine Sünden sterben muss. Es ist Wirklichkeit: der Gott verlangt keine Versöhnung, er versöhnt sich mit mir - das ist die Botschaft Jesu. Die Botschaft, dass Gott an mich glaubt, heißt doch wohl, dass ich gehen kann, dass Lähmungen geheilt werden. Lähmungen können ja durch Schuldangst begründet sein, Angst vor Schuld in der Vergangenheit, Angst vor Schuldigwerden in der Zukunft. Dieses alles und andere Lähmungen, die mir passieren und die mich treffen, sind letztlich relativiert. Gott bekennt sich zu mir, Gott glaubt an mich. Ich kann nun sogar mit Scheitern und Fehlern umgehen. Das ist eine befreiende Situation, das nimmt alle enge Moralität weg, ich kann etwas riskieren!

Aber es gibt noch mehr: Ich kann auch an mich glauben. Ich kann Ja zu mir sagen. Ich kann mich annehmen. Welch eine Botschaft!

Aber man kann diese Botschaft noch in eine andere Richtung lenken.

Dietrich Bonhoeffer hat von der Mündigkeit des Menschen gesprochen. Mündigkeit des Menschen heißt doch wohl, dass er nicht nur gehorsam ist einer Botschaft ohne Reflexion, ohne eigenen Beitrag. So ist die Folge dieser Botschaft Jesu, dass die Ethik keine Gehorsamsethik mehr ist, sondern eine Situationsethik.  Wie ich diese Botschaft Jesu, dass Gott Ja zu mir sagt, weitergebe und ich auch Ja sage zu anderen, das ist abhängig von meiner Beurteilung der Situation, in der ich entscheiden muss.

Wenn Gott mich liebt, dann hängt es von meiner Beurteilung der Situation ab, wie ich denn diese Liebe Gottes weitergebe. Das kann nicht Gehorsam sein. Bonhoeffers Vorstellung der Mündigkeit darf nicht aufgegeben werden.

Ich möchte das noch einmal klarmachen, mit Worten, die Paulus im 13. Kapitel des 1. Korintherbriefes sagt. Das ist ein gewaltiges Kapitel von der Liebe. Es ist nicht die Liebe, die ich einem Partner schenke, es geht hier um die Liebe Gottes. Paulus formuliert diese Liebe Gottes so, dass er sagt:

Ich erkenne, dass ich erkannt bin. Erkennen im Hebräischen ist kein intellektueller Vorgang. In der Bibel heißt es oft: Der Mann erkannte eine Frau, und sie wurde schwanger und gebar ein Kind. Das Erkennen ist also ein  Ausdruck und eine Tätigkeit höchster Intimität. Ich erfahre etwas für mein Leben ganz Wichtiges und versuche damit zu leben. Es geht hier darum, dass ich riskiere, mit einer Botschaft umzugehen und von ihr her mein  Leben zu gestalten. Diese Botschaft kommt an ihr Ziel durch learning by doing. Es wird mir nicht immer gelingen, aber – ich muss es immer neu riskieren, um zu erfahren, was diese Botschaft für mich bedeutet.

Wie soll ich nun diesen Überlegungsgang schließen?

Ich möchte zitieren den Schlussabschnitt aus dem großen und wichtigen Buch von Julius Wellhausen, unserem großen Alttestamentler, der im Jahre 1894 seine “Israelitische und jüdische Geschichte“ herausgab. Wir leben heute noch als Alttestamentler von diesem großen Mann.

Das Zitat ist dieses:

„Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, die Mittel sind nicht der Zweck.

Alle Kultur ist unausstehlich, wenn sie das Individuum und sein Geheimnis nicht anerkennt. Der Fortschritt der Gattung ist, über eine gewisse Grenze hinaus, kein Fortschritt des Individuums, glücklicherweise nicht. Ich bin nicht bloß ein Teil der Masse, ein Erzeugnis der Zeit und meiner Umgebung, wie die Wissenschaft in einem Ton verkündet, als ob Grund wäre, darüber zu triumphieren. In meinem Kern berühre ich mich mit der Ewigkeit. Freilich muss ich diesen Kern mir selber gewinnen und ausgestalten, ich muss versuchen, damit zu leben. Vor allem muss ich also daran glauben, nicht im intellektuellen Sinne, das ist kein Glaube, sondern eben, damit leben. Ich muss damit leben, dass Gott  hinter dem Mechanismus der Welt steht, dass er auf meine Seele wirken, sie zu sich hinaufziehen und ihr zu ihrem eigenen Selbst verhelfen kann, dass er das Band einer unsichtbaren und ewigen Gemeinschaft der Geister ist. Man does not live by demonstration but by faith (das ist die Vorstellung von Thomas Carlyle, einem englischen Dichter). Der Glaube an die Freiheit und der Glaube an Gott ist dasselbe, eins nicht ohne das andere. Beide sind nur im Glauben vorhanden; aber der Glaube wird nicht erquält, sondern er ist Gewissheit.“

 

Amen

Dr. Martin Gerlach

 

> zurück zu Predigten <

   

> Home <