Ansprache
von Dr. Gerlach anlässlich |
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Ansprache von Dr. Martin Gerlach an Gäste anlässlich seines 80. Geburtstages am 31. Mai 2007, Anglikanische Kirche Düsseldorf.
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Ermutigung zum denkenden Glauben - Erwägungen über Größe und Grenze der Theologie – |
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1. Zwischen Verachtung und Bewunderung Vor etwa 40 Jahren begann mir aufzufallen, dass in neutralen und eher kirchendistanzierten Presseorganen theologische Begriffe so wie das Wort „theologisch“ überhaupt gern in einem abschätzigen Sinne gebraucht wurden. Bestimmte Meinungen und Sachzusammenhänge sollten dadurch, dass man sie theologisch nannte und durch einen aus der theologischen Fachsprache entnommenen Begriff kennzeichnete, lächerlich gemacht und als nicht ernst zu nehmen hingestellt werden. Eines Tages wurde es mir zu bunt, und ich begann, solche missbräuchlichen Verwendungen theologischer Begriffe zu sammeln und in einer Kartei zu speichern. Hier sind nun ein paar Auszüge aus dieser Kartei, die das Problem verdeutlichen sollen: Soziologie,
Psychologie, Politikwissenschaft, Friedensforschung, auch
Literaturwissenschaft seien nur theologische Fächer und gehörten nicht
an die Universität, will sagen: sie haben nichts mit wissenschaftlichen
Argumentation zu tun. Politiker haben nicht wie Moraltheologen zu räsonieren.
Und darum hat man über die Neutronenbombe nicht moraltheologisch,
sondern waffentechnisch und politisch zu urteilen. Ein staatsmännisches
Programm hat sich von einer Kanzelabkündigung zu unterscheiden, und der
amerikanische Präsident hat eine außenpolitische Sonntagspredigt
gehalten. Die Debatte um die zukünftige Gestalt Europas sieht zwar wie
ein Theologendisput aus, hat aber trotzdem praktische Folgen. Und
selbstverständlich waren die Ideologen in Moskau die Kreml-Theologen
und die kommunistische Welt eine Kirche. Und so könnte man lange
fortfahren und zitieren. Die Verachtung der Theologie, die aus solchen zahllosen ähnlichen Äußerungen spricht, ist schier grenzenlos. Sie geht ja im Ernst schon so weit, auch nur eine ethische Rückfrage als überflüssigen, der Effizienz der Diskussion behinderten Luxus anzusehen. Aber
nun kann man zur großen Überraschung auch ganz anderes erleben. Ich
hatte vor einigen Jahren mit einer Behörde in Düsseldorf zu tun. Ich
kam mit dem Amtsleiter in ein freundschaftliches Gespräch, bei dem er
sich auch nach meinem Fach erkundigte, das ich studiert habe. Auf die
Antwort: „Ich bin Theologe.“, kam von meinem Gesprächspartner,
offenkundig einem treuen evangelischen Christen, die spontane
Entgegnung: „Das ist ja wohl das schwerste Fach.“ Im Fortgang des
Gespräches stellte sich heraus, dass der Amtsleiter zunächst einmal
die sprachlichen Voraussetzungen des Theologiestudiums – also die
Beherrschung des Hebräischen, Griechischen und der lateinischen Sprache
– als eine beträchtliche Hürde ansah, die nur Intelligente und
Charakterfeste in der Lage seien zu nehmen. Außerdem war ihm bewusst,
dass die Anforderungen einer theologischen Doktorarbeit im Vergleich zu
anderen Fächern unverändert hoch und nicht inflations-gefährdet sind.
Wir haben noch manches miteinander geredet, ich habe ihm aber auch
deutlich gemacht, dass an theologischen Fakultäten nur mit Wasser
gekocht wird. Die Stellung der Theologie, also zwischen Verachtung und Bewunderung, ist wahrhaft paradox. Was der eine als gefährlichen, zumindest unseriösen Fanatismus ansieht, erscheint dem anderen eine geistige Anstrengung von höchstem Schwierigkeitsgrad. Es ist noch paradoxer: Was in der Tat objektiv und belegbar größte intellektuelle und charakterliche Disziplin fordert, wenn etwas dabei heraus kommen soll, dient nach Meinung anderer nur dazu, jede vernünftige, sachgerechte und effiziente und letztlich das Wohlergehen der Menschen fördernde Diskussion durch unseriösen Fanatismus um ihre Früchte zu bringen. Im Zeichen dieser jetzt geschilderten Paradoxie fragen wir: „Was gibt eigentlich noch den Mut zur Theologie?" Ich
frage jetzt zunächst im zweiten Abschnitt, was macht mutlos vor der
Theologie? Als ersten Punkt möchte ich über die Orientierungslosigkeit reden. Der erste Entmutigungsfaktor, der auch schon vor dem Studium vielen Studenten und Studentinnen bewusst wird, ist die generelle Orientierungslosigkeit gegenwärtiger Theologie, die diese zum unverbindlichen Gedankenspiel zu machen droht. Jedenfalls erweckt die an unseren Universitäten betriebene Theologie einen solchen Eindruck. Auf evangelischer Seite hängt dies eindeutig mit dem Wegfall dessen zusammen, was wir alle theologische Schulen nannten. Wer beispielsweise bis in die 60er Jahre nach Basel ging, der wurde Barthianer, ja, er oder sie ging nach Basel, um Barthianer zu werden, und dagegen half auch nichts, dass Karl Barth gesagt haben soll: „Ich habe gehört, es soll in dieser Universität Barthianer geben. Ich muss dazu feststellen: ich gehöre nicht zu ihnen!“ Auf dieselbe Weise wurde man Bultmannianer, wer nach Marburg ging, ein Erlanger, wer bei Paul Althaus in Erlangen studierte. Die etwas jüngere Nachfolgegeneration dieser Forscher, war schon nicht mehr schulbildend. Zwar gibt es charakteristische Schüler von all diesen, aber man redet kaum von einer Schule. Warum es mit den Schulen, warum es mit den theologischen Schulen, ein Ende gefunden hat, ist schwer in wenigen Sätzen zu sagen. Begünstigt wurden sie zweifellos einmal dadurch, dass die Schulhäupter eine außerordentliche örtliche Stabilität bewiesen. Ganze Generationen von Professoren mochten durchziehen, aber Basel blieb die Stadt Karl Barths, Marburg die Stadt Rudolf Bultmanns, Erlangen der Platz von Paul Althaus. Zum anderen begünstigte die alte, heute schon sprichwörtliche Ordinarien-Universität die Dominanz einzelner großer Leute, die dann, gleichgültig, welches Fach sie vertraten, innerhalb der eigenen und auch doch noch andere Universitäten für ein Kollegium zu sorgen wussten, das ihre Stellung als Schulhaupt nicht in Frage stellte. Nicht von ungefähr fällt darum das Ende der Schulen mit der Zeit zusammen, da überhaupt die selbstverständliche Autorität der Altvorderen in zunehmende Zweifel geriet. Die demokratische Universität begünstigt keine Primadonnen mehr, sie begünstigt, um es deutlich zu sagen, gleichmacherisch eher das Mittelmass und behindert dadurch ungewollt die volle Entfaltung der Hochbegabten aus lauter Angst vor Privilegienwirtschaft. Ich weiß bis heute noch nicht, was in kauf zu nehmen besser wäre: die Frustration der wegweisenden Hochbegabungen innerhalb der gleichmacherischen Standardausstattung an der demokratischen Universität, oder die unvermeidlichen Privilegien, die sich natürlich ergeben, wenn man wirklich großen Figuren die Möglichkeit ihrer vollen Entfaltung einräumt. Doch
zurück zum Problem. Kein vernünftiger Theologe der Vergangenheit wird
auch den eigenen Schulhäuptern irgendeine unfehlbare
Entscheidungskompetenz zuerkannt haben, wenngleich dies manchmal
geschehen sein mag. Aber man gewann doch in der eigenen Schule zunächst
einmal einen festen Boden unter den Füßen, von dem aus man ja dann
gern in Neuland vorstoßen konnte. Heutige Theologinnen und Theologen
gewinnen einen solchen Boden kaum noch unter die Füße. In allen Fächern,
nicht nur, aber besonders natürlich in der systematischen Theologie,
erleben die Studierenden
ihr Studium als den Sturz in ein wellen-schlagendes Gewässer, ehe sie
recht schwimmen gelernt haben. Um dann nun nicht zu ertrinken, klammern
sie sich an diesen oder jenen theologischen Ansatz, nicht selten an
diese oder jene theologische Tagesmode, machen diese Mode zum
Universalschlüssel und exklusiven Beurteilungsmaßstab für die ganze
Theologie, ehe sie selbst in der Lage sind, den Ansatz und die Mode
durch Einordnung in einen größeren Zusammenhang relativieren zu können.
Das schwört der eine auf die Befreiungstheologie, die andere auf die jüdischen
Wurzeln des christlichen Glaubens, der andere auf die Weiblichkeit
Gottes, die andere auf das neuzeitliche Bewusstsein, der andere auf die
vergessenen Traditionen der Besiegten der Kirchengeschichte und die
andere auf das Human-Gespräch mit den Naturwissenschaften und der
andere auf den tiefen- psychologischen Zugang zur Bibel. Die weniger
Intelligenten bleiben dann bei dem gefundenen Rettungsring, reiben sich
wund an jeder Fragestellung, werden aggressiv und lernen kaum noch etwas
dazu, sofern es sie nicht selbst bestätigt. Die Intelligenten merken
bald die Grenzen dieses Ansatzes, an dem sie sich zunächst festgehalten
haben, empfinden umso schmerzlicher die nicht zu bewältigende
Vielgestaltigkeit heutigen theologischen Denkens und heutiger
theologischer Aufgaben und sind dann umso mehr geneigt, den Mut zu
verlieren. In der katholischen Theologie ist die Situation unter dem
Strich die gleiche. Nur aus anderen Gründen. Bis zum 2. Vatikanischen
Konzil konnte man jedenfalls im Bereich der theologischen Ausbildung
noch mit Einschränkungen von der katholischen
Theologie sprechen. Die lehramtlich erzwungene Übergröße
theologischer Disziplin der vorausgehenden Jahrzehnte brach dann nach
dem Konzil nun wie ein Damm unter dem Druck des Hochwassers, und im
Zeichen der neuen Freiheit eines Christenmensches in der Kirche schien
alles erlaubt, alles gut, alles zukunftsweisend, sofern man nur wirklich
eifrig das Konzil beschwor. Evangelische
und katholische Studierende der Theologie aber verbindet in dieser
Erfahrung die Sehnsucht nach dem großen, alles umfassenden,
zukunftsweisenden theologischen Neuansatz. Und dies gilt nicht nur für
die Studierenden! Wie überhaupt die beschriebene Orientierungslosigkeit
nicht nur ein Problem der Theologiestudentinnen und Theologiestudenten
ist. Mir
fällt mir jetzt nach der Orientierungslosigkeit die Einfallslosigkeit
auf. Seit den frühen 70er Jahren schon ertönt das Klagelied vom
desolaten Zustand der Theologie, dem es an tragenden, die Vielheit der
Einzelheiten integrierenden, in die Zukunft weisenden Ideen mangele. Es
ist kein Wunder, dass dieses Klagelied vorwiegend in der katholischen
Theologie ertönte und ertönt. Sie hat ja auf Grund der angedeuteten
Entwicklungen länger als die evangelische Theologie in der
Illusion einer die Einheit stiftenden Grundlage leben dürfen und
empfand darum die nun mit Macht an den Tag drängende Vielfalt als
bedrohlicher im Vergleich zu der in dieser Hinsicht mehr abgehärteten
evangelischen Theologie. Aber unter dem Strich ergibt sich wieder eine
ähnliche Situation. Nostalgisch wendet sich der Blick zurück: Was
waren das für Zeiten, in den beiden Jahrzehnten zwischen den Kriegen
und auch nach dem 2. Weltkrieg, als Männer vom Range eines Karl Barth,
eines Rudolf Bultmann, eines Paul Tillich, eines Karl Rahner, eines
Hans-Urs von Balthasar der Theologie den Weg wiesen, ein Weg, der sogar
noch durch die zuckenden Blitze der Kontroversen und der an ihnen sich
entzündenden Konflikte erhellt wurde. Und heute? Epigonen überall. Es
gibt am Beginn dieses neuen Jahrtausends keinen Karl Barth, keinen Karl
Rahner, die uns den Weg hinein ins neue Jahrtausend wirklich zu weisen
vermöchten. Über diese großen Männer der ersten Jahrhunderthälfte
werden heute Doktorarbeiten geschrieben, doch die sie schreiben, lassen
nicht erwarten, dass von ihnen einmal ähnliches ausgehen könnte wie
von den Helden ihrer Arbeit. Die Theologie scheint in ein Stadium des Rückblicks
und der Bilanzen eingetreten zu sein, was deutlich wird an den immer
zahlreicher werdenden Forschungsberichten aus allen theologischen Fächern.
Die Einfallslosigkeit wird auch daran deutlich, dass die Zahl der Einführungen
in die verschiedenen Bereiche der Theologie rapide zunimmt. Sie dienen
den Studierenden als Ersatz, für die alte Orientierungshilfe durch die
theologischen Schulen. In
einer zugleich fatalen wie paradoxen Logik scheint dieser Zustand sogar
sachgemäß zu sein. Auf der einen Seite erscheinen die Möglichkeiten
von Neuansätzen in der Theologie ausgereizt zu sein. Will man wirklich
originell sein, dann muss man seine Zuflucht bei augenscheinlich
exotischen Bemühungen suchen, etwa bei einer Verbindung von Teilhard de
Chardin und New Age. Auf der anderen Seite haben wir ja in der
Abarbeitung an den großen theologischen Entwürfen des letzten
Jahrhunderts, die wir durch Namen gekennzeichnet haben, eine wahre
Virtuosität darin gelernt, Einseitigkeiten aufzuspüren und im Ansatz
nicht integrierte oder integrierbare theologische Sachverhalte, oft von
beträchtlichem Gewicht, zu benennen. Nicht selten sind es gerade
diejenigen, die am lautesten über die Kulturlosigkeit der heutigen
Theologie klagen, die gleichzeitig durch die geradezu instinktive Jagd
nach Einseitigkeiten und theologischen Defiziten den originellen
Neuansatz zu verhindern wissen. Denn dass ein solcher seine zündende
und mitreißende Kraft nur um den Preis der Einseitigkeit haben kann,
das sollte gerade der Rückblick auf die viel gefeierten Entwürfe aus
der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts lehren. Ein alles in ein
ganz neues Licht tauchender umfassender theologischer Neuansatz und eine
verlustlos alle an seinen angemessenen
Platz stellende große theologische Synthese, das ist heute offenbar ein
Widerspruch. Der
letzte Punkt, den ich erwähnen möchte, um die Einfaltslosigkeit der
Theologie zu charakterisieren, soll die Überschrift tragen: Universitätstheologie
und Gemeinde. Den
genannten beiden Hauptgründen für die Mutlosigkeit gegenüber der
Theologie fügen sich ein alter und ein neuer, zugleich aber ebenfalls
alter Grund hinzu. Der alte Grund ist das nach wie vor gespannte Verhältnis
zwischen Universitätstheologie und Gemeinde. Theologie, so denkt doch
der arglose Zeitgenosse und die arglose Zeitgenossin, soll doch wohl klärend,
orientierend, problemlösend, befreiend dem Vollzug des Glaubens im
konkreten Leben dienen, und das heißt: dem Glauben und dem Leben der
Gemeinden. Gewiss darf und muss sie dabei immer wieder einen Schritt zurücktreten,
um sich mit historischen und sachlichen Fragen zu befassen, die nur
mittelbar im Bezug zum Glauben der Gemeinden stehen. Aber eben dieser
mittelbare Dienst am Glauben der Gemeinde muss doch auf Nachfrage
deutlich werden können. Heute gewinnt man in beiden Kirchen den
Eindruck, dass die Theologie drauf und dran ist, diesen Bezug zu
vergessen oder jedenfalls um so viele Stufen vom Glauben der Gemeinde zu
entfernen, dass Theologinnen und Theologen oft einem Altorientalisten,
einem Spätantikeforscher, einem Sozialgeschichtler, einem
Kulturgeschichtler, einem Wissenschaftstheoretiker, einem Philosophen ähnlicher
sehen als einer Vordenkerin oder einem Vordenker für die Kirche. Wenn
ein Alttestamentler sein ganzes Leben der historischen Erforschung der
alttestamentlichen Propheten widmet, wenn ein Neutestamentler seine
Lebensarbeit Paulus verschrieben hat, wenn eine Kirchengeschichtler sein
Leben lang schwerpunktmässig die Quellentexte der Reformation
erforscht, dann ist der mittelbare Bezug zum Glauben der Gemeinde mit Händen
zu greifen. In der Zeit, in der die Massenmedien definitiv die
Herrschaft über das öffentliche Bewusstsein erlangen, waren wir alle
froh, dass es solche Spezialisten gab, und wir haben allen Anlass zum
Dank dafür, dass sie sich auch bereit fanden, in allgemein verständlichen
Schriften solide Informationen über ihre fachlichen Erkenntnisse unter
das Volk zu bringen und dadurch gegenzusteuern, wo ein unsorgfältiger
Journalismus halbverstandenes Halbwissen verbreitete und die Gläubigen
verunsicherte. Eine Zeitlang konnte man daher auch glauben, dass die
Schere zwischen theologischer Wissenschaft und Gemeindefrömmigkeit
dabei sei, sich zu schließen. Heute
sieht es so aus, als wollte die Schere sich wieder öffnen. Über die Gründe
kann man nur rätseln. Die augenscheinliche Ausreizung aller denkbaren
Ansätze, wovon wir geredet haben und das Streben nach unbezweifelbarer
Zukünftigkeit, mögen im Verein mit weiteren Motiven dazu führen, dass
eine junge Generation von Theologinnen und Theologen sich wieder auf
einen solchen Pfad extremer Spezialisierung gibt, bei der der Dienst am
Glauben aus dem Vordergrund des Bewusstseins entschwindet und die
theologische Wissenschaft ein Spiel um seiner selbst willen wird. Nicht
mehr die Theologie der Propheten wird dann zum Lebensthema, sondern –
ich zitiere ein Beispiel - die religionsgeschichtlichen und die
inneralttestamentlichen Verästelungen des Sühnebegriffs, nicht mehr
Paulus, sondern die Theologie der hypothetisch rekonstruierbaren Quelle
Q, nicht mehr die Quellen der reformatorischen Theologie, sondern das präzise
Datum und der präzise Inhalt des reformatorischen Durchbruchs Luthers.
Dies alles erweckt zunehmend den Eindruck
eines realitätsfernen Glasperlenspiels und im historischen
Vergleich: wie eine neue Spätscholastik, die auch keine neuen Einfälle
mehr hatte, aber die liegen gebliebenen kleinen Anschlussprobleme der
hochscholastischen Synthesen bis zum Geht-nicht-mehr ausdifferenzierte.
Schon beklagen sich Scharen von Studierenden über die Belanglosigkeit
der Theologie, zumal der systematischen Theologie und fordern im blinden
Umkehrschluss, diese müsse, bei Gefahr, ihre Daseinsberechtigung zu
verlieren, zu jedem Problem die aus Glaubensgründen zu fordernde
technische Problemlösung bereit stellen. Theologie und Gemeinde leben
also wieder nebeneinander her, und welcher Studierende, dem nicht der Hörsaal
und der Seminarraum das Leben selbst ist, wird Mut verspüren,
menschlichen und gläubigen Einsatz an solcher Theologie
zu riskieren? Ich habe von der Mutlosigkeit und dem Mut vernichtenden Problemen gesprochen. ich muss nun aber doch sagen: Was ist denn eigentlich Theologie? Theologie ist denkender Glaube. Theologie ist so alt wie der Glaube selbst, insofern dieser nie ja ohne Gedanke ist. Selbstverständlich ist Glaube mehr als nur Gedanke, er ist umfassendes Selbstverständnis und umfassende Lebenspraxis des Menschen, nämlich jenes Selbstverständnis und jene Praxis, die bis in alle Einzelheiten davon ausgehen, dass das menschliche Leben und alles, was ist, sich Gott verdankt. Und darum vor seinem Angesicht sich abspielt. Aber eben dies ist nie nur ein dunkles Gefühl, ein um sich selbst nicht wissender dunkler Drang, sondern mitteilbares, hörbares, nach-vollziehbares Wort. Insofern ist der Glaube wortwörtlich Theologie, vernünftiges Wort von Gott. Und um gleich diese Konsequenz festzuschreiben: es ist darum sachlich unangemessen, zwischen einem so genannten schlichten Glauben und einem theologisch reflektierten Glauben zu unterscheiden. Denn einen durch und durch schlichten, von aller Theologie freien Glauben könnte es nur geben, wenn es einen gedankenlosen Glauben geben könnte. Und darum staunen wir Theologien oft, nicht schlecht, wenn so genannte schlichte Christen aus den Gemeinden sich nicht scheuen, gegen vorgetragene Thesen Einwände zu erheben und Rückfragen zu stellen, die vermeintlich unter Theologen so genannte Selbstgänger sind. Diese schlichten Gläubigen beweisen damit drastisch, dass sie unbeeindruckt von Professorentitel und Bücherlisten selbst nachdenken, bestimmte Worte, Begriffe und Thesen für verdächtig halten und zumindest vorläufig andere vorziehen. Sie haben damit schon Theologie getrieben, sie haben Gedanken und Worte mit der gemeinten Sache verglichen, sie an ihr gemessen und Konsequenzen gezogen. Was anderes tut ein Theologe denn? Glaube ist nicht nur denkender Glaube, sondern es geht auch beim Glauben um die Glaubenswissenschaft. Trotz
der fließenden Grenzen ist ein weiterer Unterschied anzumerken: Die elementare theologische Reflexion, die jeden noch so schlichten Glauben begleitet und prägt, hat trotzdem in der Geschichte niemals den Namen Theologie getragen. Im Neuen Testament und bei den Kirchenvätern heißt es einfach Rechenschaft über den Glauben, Bekenntnis, Wort des Glaubens, Verkündigung oder nur Lehre. Es ist ein langer Weg gewesen bis ins 13.Jahrhundert hinein, dass daraus eine Glaubenswissenschaft wurde. Warum das so lange gedauert hat, ist unmöglich in einem Satz zu sagen, zumal ja auf diesem Wege schon enorme Leistungen an subtiler, theologischer Reflexion erbracht wurden, nicht wenige mit kirchengeschichtlichen Folgen, wie die altkirchliche Bekenntnisbildung zeigt. Ein äußerer Grund für die Länge des Weges mag in dem noch für lange Zeit wenig ausgeformten Bildungswesen liegen. Wichtiger war allerdings ein anderer Grund: Der Einklang zwischen der Botschaft des christlichen Glaubens und dem herrschenden philosophischen, neuplatonischen, weltfeindlichen, leibfeindlichen, materiefeindlichen Wirklichkeitsverständnis blieb im Wesentlichen unbefragt. Selbst dort, wo die theologische Reflexion sich der philosophischen Reflexionsinstrumente dieses Weltbildes bediente, konnte sie trotzdem als eine Art theologischer Meditation erscheinen. die nichts anderes tat, als den in Gott begründeten Zusammenhängen zwischen den Heilsgeheimnissen nachzuspüren. Dieses leibfeindliche, materie-feindliche und weltfeindliche Denken hat heute noch Spuren in kirchlicher Arbeit hinterlassen. Dieses
alles ändert sich seit der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts und des 13.
Jahrhunderts. An die Stelle des Monopols der Klosterschulen treten nun
die Dom- und Stadtschulen, die sich im 13. Jahrhundert zur
mittelalterlichen Universität entfalteten, zunächst in Frankreich und
Paris, Italien und England, und von dort aus im folgenden Jahrhundert im
gesamten Bereich des Heiligen Römischen Reiches. Die vordringende
Philosophie des Aristoteles löste die unbefragte Geltung des
platonischen Wirklichkeitsverständnisses ab, und ihr konnte niemand
mehr eine Art von Einklang mit dem Wirklichkeitsverständnisses des
christlichen Glaubens nachsagen. Erstmals seit ihren ältesten Tagen ist
die christliche Glaubensverkündigung nun herausgefordert, sich
umfassend mit einer ihr neuen, fremden Philosophie auseinander zu
setzen, widersprechend, anknüpfend, umfordernd, und das heißt im
Klartext: Sie muss eingehen auf die intellektuellen
Verstehensvoraussetzungen von Christen, die diese
Verstehensvoraussetzungen als solche nicht mehr unmittelbar aus der Prägung
des christlichen Glaubens haben. Die christliche Glaubenslehre stellt
sich dieser Herausforderung mit den inzwischen entwickelten methodischen
und didaktischen Instrumenten des Lehr- und Forschungsbetriebes der
Universität. So entsteht nicht nur eine neue Spielart theologischer
Arbeit, sondern sie bewahrend und weitertreibend, Glaubenswissenschaft
im eigentlichen Sinne. Um diese mit einem Namen zu benennen, möchte ich
hinweisen auf den bedeutenden Theologen des 13. Jahrhunderts, Thomas von
Aquin. Damit kommen wir zum 4. Abschnitt unserer Überlegungen und fragen uns: Was gibt denn Mut zur Theologie? Was gibt Mut zu solcher Theologie? Was kann jungen Menschen Mut geben, eine solche geistige Bemühung wissenschaftlich zu erlernen? Was kann dazu ermutigen, sein Leben im wissenschaftlichen Beruf an sie zu hängen, einen praktischen Beruf auf sie zu gründen? Erstens, es ist der Glaube selbst, der Mut macht. Die
fundamentale und lapidare erste Antwort heißt: Der Glaube selbst gibt
Mut zur Theologie. Um dies zu verdeutlichen, bedarf es keiner
langatmigen Analyse des Glaubensbegriffes, sondern lediglich der
Besinnung auf einige wenige seiner Wesenszüge, die allen Christinnen
und Christen bewusst sind. Der
Glaube an Gott, der sich uns in Geschichte und Person Jesu selbst
auslegt, ist kein Geheimwissen, sondern etwas zum Weitersagen bis an die
Grenzen der Erde. Also muss es immer Theologie als Kunde von Gott geben,
und zwar, wie uns heute unwidersprechlich deutlich geworden ist, als
immer kontext-gebundene Kunde von Gott, danach schon auf dieser
elementaren Ebene mit immer neuen und vielfältigen Worten und darum in
andauernder Reflexion. Diese Ermahnung, so zu verfahren, haben wir immer
nötig. Der Glaube erschließt allen Ernstes die ganze Wirklichkeit
Gottes. Sie ist, das gerade ist der Inhalt des Evangeliums, von Ewigkeit
her eine Wirklichkeit auf den Menschen und seine Welt hin, buchstäblich
Gottes Gottsein für uns. So hat es Karl Barth jedenfalls formuliert.
Aber gerade um dessentwillen darf der Glaube nie verschweigen, dass
Gottes Gottsein in ihrem „Für uns“ nicht aufgeht. Theorien, die
darauf hinauskommen, Thesen etwa, die
Gottes Wirklichkeit nur im Ereignis zwischenmenschlicher
Beziehung oder ihrer Unbedingtheit zu sehen, mögen kurzfristig und
mittelfristig faszinieren, sie sind aber nur Ersatzgedanken, die das
Leben angesichts des Todes nicht wirklich tragen können. Darum darf und
muss es Theologie geben als „Gottesdienst des Denkens“, als
Meditation der ganz anderen Zusammenhänge des Gottseins Gottes auf uns
hin und für uns. Der Glaube hat seinen Widerpart auf der rechten Seite im Aberglauben, der zunächst nichts anderes ist als die Verwechslung von Schöpfer und Geschöpf. konkret wird der Aberglauben, seltener in der Theorie, häufiger aber in der Praxis, immer dann, wenn Denk- und Lebensformen, die von Haus aus der Konkretheit, buchstäblich der Fleischwerdung des Glaubens dienen sollen und auch gedient haben, im Laufe der Zeit mehr und mehr mit dem Glauben selbst gleich gesetzt und damit absolut gesetzt werden. Glaube geht nicht auf in karitativer Tätigkeit und karitativen Handlungen. Das muss deutlich sein. Darum muss wissenschaftliche Theologie alle argumentativen Instrumente einsetzen, um für solchen alle Zeit drohenden Aberglauben allzeit ein Gegengewicht bereit zu stellen, mit dessen Hilfe Missverständnisse, seien sie schuldhaft oder guten Glaubens unterlaufen, aufgelöst, notwendige Unterscheidung getätigt, Missbräuche beim Namen genannt werden können, so dass in der Christenheit niemals das Wissen darum untergeht, dass die Quintessenz des Glaubens die Freiheit eines Christenmenschen ist. Der
Gegner des Glaubens auf der linken Seite ist der Unglaube, der in
allen seinen ernst zu nehmenden Formen, jenen also, die nicht auf Oberflächlichkeit
und gedanken-losem Nachbeten der Tagesmode beruhen, immer darauf hinaus
kommt, die Wirklichkeit als in sich selbst gegründet zu verstehen und
den Glauben bestenfalls im menschlichen Geist
eine Provinz subjektiver Wertung zuzugestehen. Darum muss es
wissenschaftliche Theologie geben, die unter Einsatz aller
argumentativen Mittel darauf drängt, dass die Vernunft die Erfahrung
ihrer eigenen Grenze, die Erfahrung des Ungegründetseins der
Wirklichkeit in sich selbst, die Erfahrung der Offenheit von Mensch und
Welt an sich heran lässt und daher die metaphysische Frage nach der
Wirklichkeit und nach dem Menschen als Wesen der Transzendenz ( so hat
es Karl Rahner formuliert) nicht hochmütig und verblendet zugleich
abwehrt. Ich weiß nicht, ob es wahr ist, was Gerhard Ebeling einmal geschrieben hat, dass außer dem christlichen Glauben keine andere Religion eine wissenschaftliche Theologie hervor gebracht hat, und dass eben diese Tatsache die Eigenheit des christlichen Glaubens beleuchte. Einiges spricht für Ebelings Feststellung, zumal die Tatsache, dass man selbst mit hochintelligenten, wissenschaftlich ausgewiesenen Moslems über eines nicht diskutieren kann: über eine historisch-kritische Untersuchung und Behandlung des Korans. Aber mag dies auch offen bleiben, wahr ist jedenfalls, dass der christliche Glaube ein Verständnis der Wirklichkeit im Ganzen aus Gott als ihrer Quelle anbietet und eben darum vor nichts, was wirklich ist, Angst hat und sich zurückzieht. Eben deshalb auch keine Angst vor irgendeiner vernünftigen Frage, und klänge sie von Anfang an noch so bedrohlich. Freilich auch keine Angst vor eindeutiger Grenzziehung zum Aberglauben, zum Unglauben, notfalls um den Preis, äußerlich den Eindruck der Intoleranz zu erwecken, wo es doch der Sache nach immer nur darum gehen kann, die Intoleranz verengender Wirklichkeitsverständnisses zu verhindern. All dies besagt nun nichts anderes als dies: Es ist der Glaube selbst, der mir den elementaren Mut zur Theologie gibt. Als
zweiten Punkt zur Ermutigung zum Glauben möchte ich die Erfahrungen der
Gegenwart, die Erfahrungen in meinem eigenen theologischen Studium und
meiner eigenen theologischen Entwicklung sagen. Die Ermutigung zur
Theologie, die aus der
Theologiegeschichte kommt, geht nahtlos über in die Ermutigung durch
die Gegenwart. Die zu Beginn unserer Erwägungen genannten Faktoren der
Entmutigung sind zwar ganz gewiss keine optische Täuschung. Aber wenn
wir die Theologie des vergangenen Jahrhunderts Revue passieren lassen,
so haben uns in keinem Jahrzehnt die großen Figuren gefehlt, an denen
wir Maß nehmen, mit denen wir uns identifizieren konnten. Das letzte
Jahrhundert begann ja für die Theologie beider Kirchen mit einer
Katastrophe. Auf katholischer Seite mit der hysterischen Verurteilung
einer Reihe theologischer Versuche, neue Fragen an die kirchliche
Tradition zu stellen, die von Haus aus ähnlich miteinander zu tun
hatten, aber von ihren Gegnern unter dem ganz äußerlichen Etikett des
Modernismus zusammen gefasst wurden. Man kann heute gut und gerne die
Geschichte der katholischen Theologie des 20.Jahrhunderts schreiben als
eine Geschichte des Versuchs, sich erst auf Umwegen, dann vorsichtig und
schließlich immer offener auf direktem Wege von den blockierenden
Folgen der antimodernistischen Erscheinung vom Anfang des vergangenen
Jahrhunderts zu emanzipieren. Welch große Theologen stehen nicht an den
Wendepunkten dieser Wege! Karl Adam, Michael Schmaus, Josef Lortz, Hugo
und Karl Rahner, Marie Dominique Chenu, Urs von Balthasar, Franz Böckle
und Rudolf Schnackenburg. Auf
evangelischer Seite beginnt das vorige Jahrhundert mit dem Zusammenbruch
der liberalen Theologie durch die Erfahrung des 1. Weltkrieges. Alle
Identifikationen des Christentums als der absoluten Religion unter den
Bedingungen dieser Welt fanden sich in der Sicht der beginnenden
dialektischen Theologie unter dem vernichtenden Gericht Gottes über
alle Religionen. Man kann die Geschichte der evangelischen Theologie im
vergangenen Jahrhundert, wie es vorbildlich Heinz Zahrnt getan hat,
schreiben als Geschichte der fortschreitenden Entfaltung, Verzweigung
und auch Kontrapunktierung dieses Aufbruchs der dialektischen Theologie.
Und welche zur Theologie mutmachenden großen Figuren stehen nicht an
den Wendepunkten dieses Weges! Karl Barth, Emil Brunner, Rudolf Bultmann,
Paul Tillich, Paul Althaus und nicht zu vergessen die bedeutenden
Theologen der Bekennenden Kirche Hans-Joachim Iwandt, Ernst Wolf,
Dietrich Bonhoeffer, auch müssen wir an die großen Exegeten denken,
wie etwa Gerhard von Rad, Günther
Bornkamm, Helmut Thielicke, Gerhard Ebeling. Nach
diesem Überlegungsgang bis zu diesem Punkt möchte ich eine abschließende
Bemerkung machen. Wir können diese Erwägungen über Größe und Grenze der Theologie doch gar nicht anders schließen als durch ein Zitat aus dem großen 13. Kapitel des 1. Korintherbriefes von Paulus. „Jetzt schauen wir noch wie durch einen Spiegel auf ein Rätselbild, dann aber werden wir schauen von Angesicht zu Angesicht.“ Das klingt zunächst wie eine radikale Entmutigung und ist es im gewissen Sinne ja auch. Nie wird es die Theologie dahin bringen, Gott zu schauen. Alle Theologie bringt es nur zur Spiegelung eines verrätselten Bildes. Unsere Anhaltspunkte für die Wirklichkeit Gottes sind, so Paulus, nur Spiegel, und auch diese geben mehr Rätsel auf, als sie Erkenntnis verschaffen können. Aber dabei wird es nicht bleiben, wie nach Thomas von Aquin der Glaube, so ist auch die Theologie immerhin der Anbeginn der Schau Gottes, sie wird, wenn er sich uns von Angesicht zu Angesicht enthüllt, nicht abgeschafft, sondern endgültig zu ihrem Thema gebracht. In
dieser Hoffnung haben sich alle großen Theologen, alle meine Lehrer,
auch Rudolf Bultmann, getröstet, je älter sie wurden und je mehr sie
sehr lebendig erfuhren, wie armselig alle unsere Worte über Gott doch
sind. Dadurch aber ist dieses Paulus-Wort dann auch schließlich ein großes
Trostwort: „Wir können nicht nur nicht mehr als ein rätselvolles
Spiegelbild vor den Blick bringen, wir müssen auch nicht mehr
erreichen, bis Gott selbst das Spiegelbild enträtselt.“ Diese tröstliche
Einsicht hat Karl Rahner, für mich ist dies immer wieder wichtig,
einmal mit dem wunderschönen Satz kommentiert: „Wir
– wir Theologinnen und Theologen, und alle, die den Mut zu denkendem
Glauben haben, wir spielen immer nur die unvollendete Symphonie zur Ehre
Gottes, und immer ist es nur Generalprobe.“ Martin
Gerlach |
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