PREDIGT während des Theologischen Wochenendes in Bensberg vom 01. bis 03. Februar 2008

 
   

Predigttext: 1. Korinther 13, 12 b

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Um diesen Text verständlich zu machen, möchte ich gern das 13. Kapitel des 1. Korintherbriefes einteilen und mit Überschrift in den Abschnitten versehen. In den Versen 1 - 3 wird verhandelt die Nichtigkeit aller menschlichen Größe und Größe der Frömmigkeit ohne die Liebe, in den Versen 4 - 7 geht es um Wesen und Walten der Liebe, in den Versen 8 - 13 um die Unvergänglichkeit der Liebe. Unser Text steht im 3. Abschnitt und handelt von der Unvergänglichkeit der Liebe Gottes.

In dem Vers 12 b geht es um Vollkommenheit. Vollkommenheit wird beschrieben: Ich erkenne, dass ich erkannt bin. Erkannt werden ist keine intellektueller Vorgang, Erkannt werden ist die Erfahrung eines ganz besonderen innigen Verhältnisses, ja, man muss Liebesverhältnis sagen. Im Alten Testament wird oft gesagt: der Mann erkannte die Frau, und sie wurde schwanger, an diesem Erkenntnisvorgang wird die Intimität dieses Vorganges deutlich. Es geht also in dem Verhältnis des Menschen zu Gott um die Erfahrung einer innigen Liebe, einer innigen Zuneigung, einer inneren Bejahung und Akzeptanz. Sonst werde ich im Leben heute an meiner Vergangenheit gemessen. Ich muss von meiner Geburt reden und von meinem Lebensweg reden, um zu dokumentieren, dass ich tüchtig bin. Hier ergeht die Botschaft eines Liebesverhältnisses, das endgültig, ohne Bedingung und durch nichts aufzulösen ist. Ich finde, hinter diesen Überlegungen des 1. Korintherbriefes steht natürlich letztlich die Schöpfungsgeschichte des Alten Testamentes. Der Mensch ist Gottes Geschöpf, der Mensch ist von Gott gewollt, der Mensch lebt in diesem Gottesverhältnis. So kann nie von diesem Schöpfungsglauben her die Vorstellung entwickelt werden, der Mensch sei so schlecht, dass jemand für ihn sterben müsse, um die Gnade Gottes zu erlangen. Dieser Pessimismus ist für Juden undenkbar. Der Schöpfungsglaube verhindert den Abfall in einen solchen Pessimismus.

Die zweite Bemerkung dieses Textes heißt: Ich erkenne dies. Das heißt, ich lasse mich lieben. Ich lasse mich ein auf dieses Verhältnis. Ich lebe aus diesem Verhältnis, das mir zugesprochen und angeboten wird. Wegen dieser Botschaft ist die Botschaft und das Tun Jesu verlockend gewesen, hat Leute angezogen. Hat auch gerade die Deklassierten angezogen, weil sie nun durch diese Botschaft eine Wertigkeit entwickelten und erfahren konnten. Erfahrene Liebe prägt mich, wenn ich mich darauf einlasse, das ist der Sinn dieses Textes. Gehen wir einmal jetzt Aspekte dieses Textes durch. Dieses Miteinander von Gottes Tun und meinem Tun fasst Bonhoeffer zusammen unter dem Begriff: Sammlung und Sendung. Das war damals eine Begrifflichkeit, die plausibel und auch verständnisvoll war. Ich halte mich lieber an Bonhoeffers Unterscheidung vom Letzten und Vorletzten. Letztes, als Angebot der Liebe Gottes, gibt mir Kraft, im Vorletztem zu bestehen. Letztes hilft mir, das Vorletzte zu bewältigen. Letztes ohne Vorletztes ist Ghetto. Es wird also darum gehen, dies Letzte im Leben zu verwirklichen, zu dokumentieren und zu zeigen, weiterzugeben. Etwas von der Liebe, die ich erfahren habe, in Wort und Tat zu dokumentieren. Vorletztes ohne Letztes ist Boulevard. Das führt dazu, unsere Wirklichkeit, in der wir leben müssen, ohne Idee nur nach Nützlichkeitserwägungen ausgerichtet, wirklich ohne Ahnung vom Letzten als Boulevard zu betrachten. Doch ich möchte diesen Gedanken jetzt nicht weiter verfolgen, er bedrängt mich, bedrückt mich und macht mich traurig. Denn im Wissen und der Erfahrung des Letzten nimmt Jesus jeden an die Schulter und wendet ihm dem Vorletztem zu, um im Vorletzten das Letzte zu leben.

Um nun dieses Gottesbild, das sich darin zeigt, was ich bisher gesagt habe, zu erkennen, möchte ich jetzt einen Text Bonhoeffers selbst vorlesen. Es ist aus "Widerstand und Ergebung" auf den Seiten 248 und 249. Der Text lautet so: "Später erfuhr ich, und ich erfahre es bis zur Stunde, dass man erst in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben lernt. Wenn man völlig darauf verzichtet, aus sich etwas zu machen, sei es einen Heiligen oder einen bekehrten Sünder oder einen Kirchenmann (eine sogenannte priesterliche Gestalt !), einen Gerechten oder einen Ungerechten, einen Kranken oder einem Gesunden - und dies nenne ich Diesseitigkeit, nämlich in der Fülle der Aufgaben, Fragen, Erfolge und Mißerfolge, Erfahrungen und Ratlosigkeiten zu leben, dann wirft man sich Gott ganz in die Arme, dann nimmt man nicht mehr die eigenen Leiden, sondern das Leiden Gottes in der Welt ernst. Wie sollte man bei Erfolgen übermütig oder an Mißerfolgen irre werden, wenn man im diesseitigen Leben Gottes Leiden mitleidet." Damit habe ich die genaue Definition des Gottesbildes, um das es mir geht, deutlich gemacht. Es geht um den mitleidenden, um den solidarischen, um den mitgehenden Gott mit dem Menschen in dieser Welt. Aus dieser Erfahrung des mitleidenden Gottes wird ein mitleidender Mensch. Es wird daraus ein Mensch, der sensibel ist für Leid, der sein eigenes Leid auch nicht verleugnet, der solidarisch wird mit denen, die leiden. Aus dem mitleidenden Gott wird der Homo sympatheticus. Das ist die Abkehr vom Menschenbild des Heldischen, der gerade darin seine Haltung des Heldentums zeigt, dass er Leid nicht an sich herankommen lässt. Dass er gleichsam dasteht, abgemauert vor dem Leid, es erreicht ihn nicht. Das ist das großartige Miteinander des mitleidenden solidarischen Gottes hin zum mitleidenden und solidarischen Menschen. Das Ende des Heldentums, wie es Oswald Spengler in seinem "Untergang des Abendlandes" uns noch vermittelt, ist damit glücklich überwunden.

Das ist die Botschaft Jesu: Von diesem solidarischen Gott Zeugnis auszugehen, von diesem solidarischen Gott mich solidarisch zu machen. Gott hat also etwas mit dem Leid und Mitleiden zu tun.

Jürgen Moltmann hat sehr schön darauf hingewiesen, dass eigentlich die christliche Theologie bis hin in die Gegenwart kein konsequent christliches Gottesbild entwickelt hat, sondern sich aus Gründen einer Mischung preisgegeben hat. Diese Mischung besteht aus griechischem-philosophischem Denken und der Passionsgeschichte des Neuen Testamentes. Fragt man auf die Weise der griechischen Philosophie nach dem, was Gott angemessen ist, dann muss man die Differenz, die Vielheit, die Bewegung und das Leiden von dem Wesen Gottes ausschließen. Die göttliche Substanz ist leidensunfähig, nur so ist sie göttlich. Leidensunfähigkeit ist auch das absolute Subjekt der nominalistischen und idealistischen Philosophie. Leidensunfähigkeit, unbeweglich, einheitlich und sich selbst genügend, steht die Gottheit einer bewegten, leidenden, zerstreuten und sich selbst niemals genügenden Welt gegenüber. Für Jürgen Moltmann ist es so erklärlich: denn die Christen lassen Gott nicht selbst leiden, sondern sie lassen Christus für uns leiden. Gott selbst leidet nicht mit. Die Frage ist natürlich dann, ob ein nicht leiden könnender Gott lieben kann? Es ist schwer begreiflich, dass der leidenslose Gott lieben kann. Mich hat immer wieder angesprochen, wie dieses Bild des mitleidenden, solidarischen und mitgehenden Gottes in der Literatur verarbeitet wird. Jürgen Moltmann weist auf den spanischen Dichter Unamuno hin, er weist hin auf den russischen Religionsphilosophen Berdjajew, und schließlich - und daran wurde es mir besonders deutlich - den jüdischen Religionsphilosophen Abraham Heschel. Er hat nach meinem Empfinden auch dieses Miteinander von Gottes Leiden und der Anthropologie des mitleidenden Menschen vorbildlich dargestellt. Wir müssen doch wohl was für unser christliches Glaubensbild tun, um wirklich ein christliches Gottesbild zu entwickeln. Das entnehme ich aus den Vorstellungen Jürgen Moltmanns. Einen anderen Hinweis möchte ich noch geben, um dieses Gottesbild in die richtige Atmosphäre zu rücken. Diese Religiosität, die hier deutlich wird, ist kein Tripp, wie er in esoterischen Zirkeln vertreten wird. Es ist Erfahrung, die mein Leben gestaltet und die ich weitergeben muss, ich muss neu werden, um im Vorletzten wirklich glaubwürdig zu existieren.

Ich wäre glücklich, wenn Sie diesem Gottesbild etwas abgewinnen können. Ich wollte dieses noch gern sagen in unserem Überlegungsgang über Gottesbilder, wie sie entstehen und was aus ihnen wird.

Amen Dr. Martin Gerlach

 

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