Nachruf von Pfarrer Ulf Steidel 
auf der Trauerstunde von Dr. Gerlach

 
   

 

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Liebe Trauernde,

erlauben sie mir an dieser Stelle im Namen der Telefon Seelsorge Düsseldorf und im Namen des Ev. Kirchenkreises von einigen Spuren zu sprechen, die Dr. Martin Gerlach hinterlassen hat und – da bin ich sicher –,die auch noch weiterwirken werden.

Kennengelernt habe ich Dr. Gerlach im Dezember letzten Jahres, gut acht Monate vor seinem Tod. Als neuer Leiter der TelefonSeelsorge Düsseldorf bin ich also ein Weggefährte auf einem letzten Lebensabschnitt geworden.

Viele von Ihnen kannten Dr. Gerlach länger und besser.

Gleichwohl bot mir dieses gute halbe Jahr seines über 80jährigen Lebens einige Gelegenheiten, den – in gewisser Weise – ganzen Martin Gerlach kennenzulernen. Gerade das machte ihn ja wohl aus. Man bekam ihn ganz oder gar nicht.

Keine Rede davon, dass er im Alter einen Gang zurückschalten würde, kleinere Kreise zöge, bescheidener geworden wäre in Anspruch und Wirkung.

Ganz im Gegenteil – sehr frische und eindrückliche Bilder und Blitzlichter haben sich mir eingeprägt:

Ein erstes: Martin Gerlach empfängt mich anlässlich meines Dienstantritts bei sich zu Hause – selbstredend im Anzug mit Fliege. Nach einem konzentrierten, 1,5 stündigen Gespräch über die Zukunft der TS und Mittel und Wege weiterhin Gelder für die gute Sache zu gewinnen, wartet in seinem Arbeitszimmer – der Bibliothek eines Universalgelehrten – aktuelle theologische Literatur auf Durchsicht und Bearbeitung. Für ihn niemals Gelehrtenselbstzweck im Elfenbeinturm, sondern immer Ausgangspunkt und Antrieb zum theologischen Diskurs mit den Zeitgenossen.

Ein zweites Bild: Martin Gerlach lädt ein anlässlich seines 81. Geburtstages am 31. Mai diesen Jahres. Eine große Gesellschaft ist versammelt. Darunter viele von denen, die mit Dr. Gerlach kurz zuvor auf seiner letzten Bildungsreise in Marokko unterwegs waren. Erste bewegte Bilder werden gezeigt, und nachträglich werde ich Augenzeuge seiner schier unbegrenzt scheinenden Vitalität: Ohne ersichtliche Mühe erklimmt er im Frühjahr noch die Dünen der marokkanischen Wüste.

Zuletzt Martin Gerlach auf dem Krankenlager. Voller Vorfreude auf seine mutmaßlich wieder gut besuchten theologischen Vorlesungen in der VHS im Herbst diesen Jahres, ermahnt und ermuntert er seine behandelnden Ärzte: Sorgen Sie dafür, dass ich wieder gesund werde. Ich bin Theologe und habe noch eine Menge zu sagen und mitzuteilen. Wessen Herz voll ist, dem geht der Mund über.

Wie gesagt – jene Bilder auf der Zielgerade seines Lebens sprechen Bände. Martin Gerlach war es vergönnt, sich treu zu bleiben – bis zuletzt:

Agil und wohltuend neugierig,

verliebt in das Leben,

humorvoll und provozierend,

ein Grenzgänger mit weitem Horizont.

Natürlich habe ich Martin Gerlach als theologischen Referenten kennengelernt.

Die Gelegenheiten boten sich ihm en passant – auf dem Weg. Einiges von dem, was ich selbst mitbekommen habe:

Auf der Verabschiedung meiner Vorgängerin Christa Weiß referiert er über das  Thema: eine leitende Rolle in der Kirche spielen. Ja er konnte geradeaus und deftig über die Kirche und ihren Kleinmut schimpfen. Das brachte ihm kirchenintern nicht viele Freunde ein. Damit konnte und musste er leben. Für mich blieb er darüber ein Mann Gottes und der Kirche – zugegebenermaßen vorwiegend an ihr leidend. Ich hoffe, Martin Gerlach nimmt mir an dieser Stelle – mit Blick auf sein Gottes­verständnis – meinen Kommentar dazu nicht übel: Nur wer liebt, vermag zu leiden.

Wenige Tage später – die TS-Gemeinschaft ist zur sog. Weihnachtsüberraschung ins Düsseldorfer Uhrenmuseum eingeladen. Umgeben von all diesen sehr prächtigen Zeitmessern nimmt uns Martin Gerlach mit auf eine Reise durch das theologische und philosophische Nachdenken über das Phänomen Zeit.

Eindrücklich wie er die Weisheit des 90. Psalms – Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden. – durch die neuzeitliche Brille Martin Heideggers liest: Wir werden zu freien und selbstbestimmten Personen – wir gewinnen unsere „Ichheit“ allein durch ein weises Vorauslaufen auf den Tod.

Nachdenklich wir er sich und uns als Menschen der Gegenwart kritisch die Leviten liest, wenn er uns Heutige beschreibt als gehetzt und atemlos gelangweilt.

Überraschend wie er über den mittelalterlichen Mönch Herman der Lahme von der Reichenau, der sich beschäftigte mit dem Zusammenhang von Ewigkeit und Zeit, mithin der Verbindung zwischen dem Letzten und dem Vorletzten, mit einer Verbeugung vor dem Mittelalter endet. Orginalton Dr. Gerlach: Es war eine Zeit, in der man exzessiv trauern konnte, in der man sich exzessiv freuen konnte. Wir müssen heute wieder trauern lernen.

Eines seiner letzten Grußworte in Form eines Referates galt mir. Zum Tage meiner gottesdienstlichen Einführung Anfang November wünschte er mir mit allen Gästen, wir mögen uns in unseren beruflichen und persönlichen Herausforderungen glücken.

Vorneweg gab es noch sein gewohnt flinkes und unverblümtes Feedback auf meine zuvor gehaltene Predigt. Dort hatte ich einer hörenden Seelsorge das Wort geredet. Gerlachs Kommentar: Steidel, das ist ja schön und gut. Aber wir haben doch auch eine Menge zu sagen …

Natürlich habe ich Martin Gerlach als einen emsigen Freund und Förderer der TelefonSeelsorge kennengelernt. Das hat lange vor mir die Menschen dort gerührt und bewegt, mit welcher Großzügiglkeit,  mit welcher Sensibilität und Nachhaltigkeit er auf die Bedürfnisse der TelefonSeelsorgenden gehört hat. So ist zusätzlich vieles möglich und realisierbar geworden: Fortbildungswochenenden, Ausflüge, Fach­literatur, die legendären Weihnachtsüberraschungen oder nützliche Dinge zur Ausstattung in der Dienststelle. Und wer dieser Tage dort mit den Ehrenamtlichen spricht, der wird auf viele andere Früchte und Spuren seines Engagements in den Erinnerungen stoßen.

In den letzten Tagen – nach Dr. Gerlachs Tod – habe ich mich und andere noch einmal befragt: Wo eigentlich mag die tiefere Verbindung und Affinität Martin Gerlachs zur Seelsorge am Telefon gelegen haben. Da sind zunächst einmal – wie könnte es anders sein – Personen wichtig. Stellvertretend für einige nenne ich hier nur Jörg Wieners, den langjährigen Leiter der TelefonSeelsorge in den 80er und 90er Jahren und Helga Urban, jene glückliche Verbindung zwischen der Stadtakademie und der TelefonSeelsorge in Person.

Vielleicht ist seine Nähe daneben in jener besonderen Form der Kirchlichkeit in der TelefonSeelsorge angelegt. Mag sein, dass er dort mehr von dem zu finden glaubte, was er der Amtskirche immer wieder so unbarmherzig ins Stammbuch schrieb:

Kirche – dialogisch und vielstimmig,

Kirche – nah dran an den Sorgen, den Fragen und Zweifeln der Menschen, an welchem gesellschaftlichen Ort sie sich auch immer befinden,

Kirche – offen und frei im Miteinander der unterschiedlichen Konfessionen und Glaubensüberzeugungen.

Am Ende wird es – nicht zuletzt – Martin Gerlachs zutiefst seelsorgerliches Gottesbild gewesen sein. Einen letzten Hinweis darauf fand ich dieser Tage in einer seiner Bensbergpredigten. Er selbst zitiert dort in seiner Auslegung des 63. Psalms den französischen Zeitgenossen Jaques Pohier aus dessen Buch: „Wenn ich von Gott rede“: Gott ist der, der an die Seite dessen tritt, der leidet. Dass er mit dem ist, der leidet. Wie ein Freund. Und der nichts verdrängt, den nichts fliehen lässt, weil er etwa Angst hätte. Denn Leiden macht immer Angst … Da sein, da bleiben, mit einem sein, und zwar so, dass der Leidende sich nicht zu verbergen, sich nicht einschließen muss oder Angst zu haben braucht vor sich selbst oder vor dem, was er in den Augen des Zeugen seiner Leiden ließt. So bei ihm sein, dass er sieht, man kommt nicht, um etwas von ihm zu fordern, um ihm zu erklären, was er tun solle, um von ihm Rechenschaft zu verlangen oder ihm Lehren zu erteilen. Sondern einfach, um mit ihm zu sein. Um das zu sein, was man ist, damit er der sei, der er ist.

Allein mit solch einem Gott im Rücken und vor Augen wird uns die Seelsorge am Telefon gelingen.

Ein herzliches Dankeschön an Dr. Martin Gerlach für all diese Inspirationen.  

Ulf Steidel – im Juli 2008

   

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