Macht

 
  Macht und ihre Probleme begegnen uns täglich in Politik, im Beruf und auch in der Familie. Die Geschichte lehrt uns viele Formen und Begründungen von Macht. Altorientalische Herrscher verstanden sich als Söhne Gottes und begründeten von daher ihre Macht. So kam es zum Herrscherkult. Der Zusammenbruch dieser Herrschaft ließ dann ihre Grenze erkennen. Jetzt erwartete man einen mächtigen Herrscher als Messias in der Zukunft. In den Oden Salomos, Gedichte aus dem 1. vorchristlichen Jahrhundert, wird eine solche zukünftige Herrschergestalt beschrieben.  
     

 

Welche Vorstellung von Macht finden wir bei Jesus und seiner Bewegung? Hier wurde Macht neu gestaltet. Jetzt geht es um die Gottesherrschaft. Jesus versprach seinen Jüngern Teilhabe an dieser Macht. So heißt es: Selig sind die Armen, denn ihnen gehört die Gottesherrschaft. Armut dann mehr als wirtschaftliche Armut. Sie wird assoziiert mit Bedrückung durch Mächtige. Es wird so auch kein Reichtum verheißen, sondern Überwindung politischer Ohnmacht. Den jetzt Bedrängten soll die Macht gehören. Die Jünger sind bei Matthäus nicht Untertanen, sondern Königssöhne. Sie sind mehr als König Salomo. Ja, die 12 Jünger werden die 12 Stämme Israels richten. Sie sind beteiligt an der Herrschaft des Messias. Ihre konkrete Funktion in dieser Herrschaft heißt dann: Selig sind die Friedensmacher, denn sie sind Kinder Gottes. Schade, dass in der deutschen Übersetzung aus Friedensmacher nur friedfertige Menschen werden. Die Christen kommen in die Rolle der Herrscher, die Frieden herstellen. Im Epheserbrief schafft Jesus als Vorbild Frieden zwischen Juden und Heiden. Es geht also für seine Nachfolger um Frieden zwischen den Religionen. Damit ist die Rolle der Christen wichtiger als die der Kaiser, die das nicht geschafft haben.

 

 

 

  Der Gedanke Jesu geht noch einen Schritt weiter. Macht soll sich wandeln. Dies geschieht dann, wenn die Mächtigen Statusverzicht üben. Wer der Erste sein will, soll bereit sein, Diener zu werden. Herrschaft als Unterdrückung ist dann ausgeschlossen. Statusverzicht ist auch mehr als Demut.  
     
  Und noch mehr wird verlangt. Wenn jemand auf deine rechte Backe schlägt, so biete ihm auch die andere dar. Statusverzicht führt dann zur Übernahme der Rolle des Unterlegenen, der auf Aggressionen verzichtet. So wird der Aggressive verunsichert, Aggression läuft leer. Es ist eine Art Selbststigmatisierung. Sie soll helfen, den anderen zu gewinnen. In diesem Sinne hat das Neue Testament auch den Tod Jesu gestaltet, er gibt sich in den Tod, um andere zu retten, für Gott zu gewinnen. Er will verändern, indem er sich freiwillig der Bosheit freigibt. Auch hier geschieht Selbststigmatisierung.
     
  Wenn die theologische Aussage über Macht bei Jesus durchaus im jüdischen Denken verhaftet bleibt, dann auch den christlichen Nachfolgern des Juden Jesu gilt, ergeben sich Anfragen und Probleme. Christlicher und jüdischer Glaube können nicht politisiert werden, um sich gegenseitig oder andere zu unterdrücken, zu töten oder eine brutale Besatzungsmacht auszuüben. Friedensmacher, die die Kraft zum Statusverzicht und zur Selbststigmatisierung haben, sind die Mächtigsten. Religion darf nicht zur Legitimierung einer menschenverachtenden Macht werden.  

> zurück zu RP-Artikel < 

   
  Dr. Martin Gerlach  

> Home <